In den vergangenen Jahrzehnten ist die Gesellschaft zunehmend bunter und vielfältiger geworden. Die Pluralisierung in Deutschland wird u.a. mit Prozessen der Individualisierung und der Globalisierung erklärt. Diesem Wandel unterliegt auch die muslimische Bevölkerung, und zugleich treibt sie ihn mit an. Als integraler Teil der Gesellschaft gestalten Muslim*innen nicht nur innerhalb ihrer eigenen Communities das Zusammenleben mit, sondern auch darüber hinaus in allen Bereichen ihres gesellschaftlichen Umfelds. So wirken sie u.a. beruflich, künstlerisch, wirtschaftlich und politisch. Dieses Kapitel zeigt auf, wie Muslim*innen in der Gesellschaft arbeiten und wirken, und es stellt dabei folgende Fragen:
• Mit welchen Aktivitäten gestalten Muslim*innen heutzutage das gesellschaftliche Leben über ihre eigenen Vereine hinaus mit?
• Welche Institutionen haben Muslim*innen u.a. in den Bereichen Wohlfahrt, Medien und Kultur ausgebildet?
• Welche Formen der Radikalisierung unter Muslim*innen und des antimuslimischen Rassismus haben sich ausgebildet und wie wirken sie sich auf das Zusammenleben aus?
Die große Mehrheit der Muslim*innen ist Teil der deutschen Gesellschaft, und viele sind über ihre religiösen und ethnischen Gemeinschaften hinaus in vielen Bereichen eingebunden. Ihre Religionszugehörigkeit stellt sie meist nicht vor besondere Herausforderungen im Alltag; Konflikte deswegen gibt es in seltenen Fällen.
Die Berliner Medizin-Studentin Säli und ihr Hobby: Longboard-Fahren
Auch Muslim*innen unterliegen den Anforderungen sich wandelnder Verhältnisse. Insbesondere in dem Ausnahmezustand während der ersten Zeit der Covid-19-Pandemie war zu merken, dass alle gleichermaßen von den Schwierigkeiten betroffen waren. In Gesprächsforen wie etwa dem Roundtable der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft an der Goethe-Universität Frankfurt zu Fragen des Lockdowns und der Digitalisierung für Glaubensgemeinschaften unter Corona-Bedingungen zeigte sich im interreligiösen Gespräch, dass die Herausforderungen für Muslim*innen und auch die Folgen und Maßnahmen, die ergriffen wurden, nicht anders waren als für jüdische und christliche Gemeinden. Durch solche Austauschprozesse auf Augenhöhe erleben die Teilnehmer*innen, dass letztlich alle Mitglieder der Gesellschaft im selben Boot sitzen und man voneinander lernen und sich im Miteinander durch schwierige Zeiten lotsen kann.
Fußballturnier Imam gegen Pfarrer auf dem Tempelhofer Feld in Berlin
Cansever Büyüt, ehemaliger Volkswagen-Angestellter und Mitgründer einer der ersten muslimischen Gemeinden in Hannover
Das Selbstverständnis der Muslim*innen als Bürger*innen ist heute viel stärker ausgeprägt als vor 50 Jahren zur Zeit des Zuzugs der Gastarbeiter*innen, auch weil damals ihr Aufenthalt in Deutschland noch von allen Seiten als nur vorübergehend betrachtet wurde. Deshalb wurde auch ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft angezweifelt. Für die Mehrheit der Muslim*innen aber ist es heute selbstverständlich, Teil der Gesellschaft zu sein und sich als vollwertige Bürger*innen zu verstehen. Es gelingt ihnen immer besser, mit ihrem Engagement aktiv beteiligt zu sein, in ihren Kommunen und darüber hinaus Verantwortung zu tragen und als Akteur*innen wahrgenommen zu werden. Viele von ihnen sind dabei im Gespräch und im Austausch mit anderen oder setzen gemeinsame Projekte um, ohne in ihrem Handeln auf ihre jeweilige Community beschränkt zu bleiben. Zwar fühlen sie sich von den kritischen medialen Islamdebatten gestört, von Resignation kann dennoch keine Rede sein. Stattdessen versuchen sie, selbst mitzumischen und ihre Meinung kundzutun. Doch trotz der vielen positiven Beispiele sind auch ‚schwarze Schafe‘ unter ihnen zu finden, die sich radikalen Positionen zugewandt haben und sich von der gesellschaftlichen Umgebung absondern wollen.
Musiker und Aktivist Waseem in München
Mangold-Ernte in Sufiland, einem Gemeinschaftsprojekt von Muslim*innen am Bodensee
In der deutschen Politik und Öffentlichkeit wird das Phänomen des Extremismus und der Radikalisierung unter Muslim*innen in Deutschland seit den 1990er Jahren zunehmend als Bedrohung für Gesellschaft und Staat aufgefasst und seither thematisiert. Mit Rückgriff auf den Begriff des ‚islamischen Fundamentalismus‘ sind zunächst religiöse Ausprägungen im Ausland betrachtet worden, die eine wörtliche Auslegung ihrer heiligen Schriften und Traditionen vornehmen und für entsprechende politische und gesellschaftliche Veränderungen eintreten. Während einige Autor*innen schon damals generell vor ausgeprägt religiösen Vereinen hierzulande warnten, verwiesen Islamwissenschaftler wie beispielsweise Peter Heine etwa darauf, dass ‚fundamentalistische‘ Muslim*innen nicht grundsätzlich gewalttätig oder bedrohlich seien, sich aber aus deren Mitte heraus radikale Vorstellungen entwickeln können. Damit unterliegt von Beginn an die Thematisierung verfassungsfeindlicher Auswüchse bestimmter islambezogener Interpretations- und Praxisformen der Schwierigkeit der Abgrenzung und Beschreibung der Zonen, die als extremistisch oder radikal eingeschätzt und abgelehnt werden.
Es wird grob gefasst zwischen drei Ausprägungen eines religiös konnotierten Extremismus unter Muslim*innen unterschieden:
Erstens gibt es das Phänomen der (gewaltablehnenden) Anhänger*innen einer politischen Ideologie. Generell werden sie etwa als Islamisten oder Anhänger*innen des sogenannten politischen Islams bezeichnet. Zu den vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppierungen hierzulande gehören insbesondere Sympathisant*innen oder Unterstützer*innen von Bewegungen im Ausland, die eine aus der Religion abgeleitete Vorstellung einer Gesellschaftsordnung als Staatsform durchsetzen wollen.
Davon unterschieden wird zweitens das Phänomen einer gewaltbereiten Minderheit, die gewaltzentrierte Interpretationsweisen islamischer Quellen betont und darauf beruhende Parolen verbreitet. Diese Gruppe umfasst auch das Spektrum muslimischer Terroristen sowie gewaltbereite und zu Hass und Gewalt aufrufende Extremist*innen, Fanatist*innen oder Dschihadist*innen.
Von den Gruppen mit gesellschaftlichen Veränderungsambitionen werden wiederum drittens solche unterschieden, die in ihren geschlossenen Gemeinschaften eine buchstabengetreue Lesart des Islams praktizieren, diese propagieren und sich von der Gesellschaft absondern. Dazu werden sogenannte salafistische Gruppierungen gezählt, Wahhabit*innen (Anhänger*innen der saudisch-hanbalitischen Islamauffassung) oder die Tabligh Jamaat (Missionsbewegung der indischen Deobandi). Solche Strömungen lehnen von ihnen abweichende tradierte Formen des Islams ab und streben eine Rückkehr zum Vorbild der ‚lauteren Vorfahren‘ (al-salaf al-ṣaliḥ) in ihrer Lebensweise - gemäß ihres eigenen, andere Verständnisweisen ausgrenzenden Verständnisses - an.
Der kontroverse Diskurs rund um extremistisch-religiöse Auswüchse unter Muslim*innen zeigt: Einerseits darf die Gefahr, die von einer religiös konnotierten Radikalisierung für Sicherheit und Frieden der Gesellschaft ausgeht, nicht unterschätzt werden. Andererseits sind Begriffe und Definitionen manchmal schwammig und von den politischen Perspektiven ihrer Urheber*innen geprägt. Doch die Grenze zwischen legitimen konservativ-religiösen Praktiken einerseits und klar gesellschaftsgefährdenden Aktivitäten mit religiöser Deutung andererseits muss klar gezogen werden. Ohne eine solche Abgrenzung wird in manchen Debatten ein Generalverdacht gegen konservativ-religiöse Gruppen gefördert, was wiederum radikale Gruppen mit ihren Konflikte schürenden Parolen stärkt. Häufig wecken solche Form der Behandlung des Problems den Widerstand von Muslim*innen und kann die Wirksamkeit von Präventionsarbeit schmälern. Nicht zuletzt ist Muslim*innen selbst die Bekämpfung radikaler Auswüchse innerhalb ihrer Community wichtig. So beteiligen sie sich an den zahlreichen Programmen und Projekten zur Deradikalisierung und Prävention, die in den vergangenen Jahren ins Leben gerufen wurden. Außerdem versuchen sie sich – insbesondere nach Anschlägen, die von muslimischen Attentäter*innen verübt werden – zu distanzieren und sind Teil von Bewegungen, die generell für Frieden und gegen Rassismus agieren.
Radikalisierung und Extremismus unter Muslim*innen
Radikalisierung und Extremismus unter Muslim*innen
Karoline Roscher-Lagzouli — Über Radikalisierung
Radikalisierung und Extremismus unter Muslim*innen
Der Islamwissenschaftler Hakan Çelik arbeitet in der Deradikalisierung und Extremismusprävention und hilft beispielsweise Aussteiger*innen aus religiös fundamentalistischen Strukturen.
Götz Nordbruch — Über Extremismus
Bei genauerem Hinsehen lässt sich ein vielfältiges Engagement von Muslim*innen verzeichnen, das teilweise religiös motiviert ist. Im vergangenen Jahrzehnt sind zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen von Muslim*innen ins Leben gerufen worden. Im Bereich von Dialog und politischer Bildung beispielsweise haben sie deutschsprachige Foren geschaffen, um miteinander und mit anderen gesellschaftlichen und politischen Akteur*innen ins Gespräch zu kommen oder um sich weiterzubilden. So ist beispielsweise die Alhambra Gesellschaft e.V. 2017 als muslimisches Debattenforum entstanden. In deutscher Sprache veröffentlichen Mitglieder des Vereins religiöse Inhalte wie etwa die Freitagsworte, eine Art Internet-Freitagspredigt. Doch im Mittelpunkt der Aktivitäten stehen ein öffentliches Debattenformat – das Muslimische Quartett und seit neuerem Das unbequeme Gespräch – sowie ein parlamentarisches Forum, um generell Streitfragen rund um Glauben und Gesellschaft zu diskutieren.
Fahrradtour durch Deutschland unter dem Motto Muslime für Frieden, organisiert durch die Ahmadiyya Muslim Jamaat
Auf kommunaler Ebene hat sich als weiteres Beispiel 2013 eine Initiative Heidelberger Muslime gebildet, die sich die „Entmarginalisierung von Muslimen im kommunalen Miteinander“ zum Ziel gesetzt haben. Ihnen geht es um die Bereitstellung von „Dienstleistung an der Gesellschaft aus einer gottbewussten Haltung heraus“. Aus dieser Initiative heraus entstand sodann die Muslimische Akademie Heidelberg, der es um Bildung im Sinne der Selbstermächtigung und um Empowerment geht. Damit wirken die jungen muslimischen Akteur*innen in die Gesamtgesellschaft hinein mit der klaren Ambition, „Synergien zwischen der religiösen und der säkularen Sphäre zu ermöglichen“. Über Netzwerkarbeit und Partnerschaften u.a. mit christlichen Akademien sowie anderen Träger*innen der politischen Bildung und muslimischen Körperschaften beteiligen sie sich an wichtigen Diskussionen und übernehmen gesellschaftliche Verantwortung.
Solidaritätsgebet im Rahmen einer Black Lives Matter-Demonstration in Berlin
Eren Güvercin ist einer der Gründer der Alhambra Gesellschaft e.V., in der sich Muslime für ein plurales Europa engagieren.
Initiiert von der Humboldt-Universität zu Berlin und der Stiftung Mercator ist weiterhin im Jahr 2011 die Junge Islam Konferenz ins Leben gerufen worden. Sie führt junge Menschen im Alter zwischen 17 und 25 Jahre zusammen, die sich miteinander islambezogenen Fragen unserer Zeit widmen möchten. Sie setzen sich zudem ausgehend von ihren diversen Hintergründen mit aktuellen Fragen des Umgangs mit und nach Möglichkeiten der gemeinsamen Gestaltung pluralistischer Lebenswelten auseinander.
Tag der Offenen Moschee in der Al Mahdi-Moschee in Neufahrn bei Freising
Ein weiteres Beispiel für ein zivilgesellschaftliches Engagement im Bereich der Inklusion von Menschen mit Behinderung ist das 2014 ins Leben gerufene Interkulturelle Institut für Inklusion e.V. Zwar geht die Gründung auf Muslim*innen zurück, die sich ehrenamtlich für ein besseres Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung einsetzen und die vor allem Muslim*innen das Thema Inklusion näherbringen wollen. Doch arbeitet der Verein auch über die muslimische Community hinaus mit anderen zusammen, um generell für eine religions- und kultursensible Behandlung von Menschen mit Behinderung aus verschiedenen Kulturräumen zu sensibilisieren.
Intensivpflegerin Farah Demir an der Medizinischen Hochschule Hannover
Die ersten Pfeiler für eine islamisch konnotierte Wohlfahrtsarbeit als Summe sozialer Unterstützungsangebote von Muslim*innen innerhalb und außerhalb ihrer islamischen Institutionen wurden mit Beginn der religiösen Selbstorganisation in Deutschland gesetzt. Mit einfachen Mitteln und den ihnen verfügbaren Möglichkeiten boten Mitglieder verschiedener muslimischer Vereine oder Gemeinschaften bereits zu Beginn der 1970er Jahre einander ihre Hilfe an, zunächst noch eher informell und unstrukturiert. Diese ehrenamtlichen wechselseitigen Unterstützungsformen nach Bedarf unter Muslim*innen mit ähnlichen kulturellen bzw. sozialen Erfahrungen und Hintergründen haben sich in den vergangenen Jahren zunehmend ausgeweitet und sind in strukturiertere Formen sozialer Angebote übergegangen. Beispielsweise sind in Moscheegemeinden eigene Abteilungen u.a. für Jugendarbeit oder Sterbe- und Bestattungsfragen entstanden. Doch insgesamt sind soziale Angebote muslimischer Vereine bis heute eher schwach strukturiert, basieren überwiegend auf ehrenamtlicher Arbeit und sind selten Teil der etablierten Wohlfahrtsstrukturen.
Soziale Wohlfahrtsarbeit von Muslimen ist sowohl innerhalb islamischer Glaubensgemeinschaften wie Moscheevereinen zu finden wie auch außerhalb. Eine tendenziell professionalisierte soziale Arbeit von Muslim*innen, die sich in ihrer Qualität den Maßgaben etablierter deutscher Wohlfahrtseinrichtungen angenähert hat, ist jedoch zumeist außerhalb von Moscheen verortet. In kleinen Ortsvereinen, die sich auf bestimmte soziale Tätigkeiten spezialisiert haben, hat sich an vielen Orten Deutschlands von muslimischen Altenpflegediensten bis hin zu Frauenvereinen, Jugendinitiativen oder Obdachlosenspeisung ein breit gefächertes soziales Hilfsangebot manifestiert. Innerhalb der Moscheevereine bildeten gemäß einer Studie zu den sozialen Angeboten in den Gemeinden der islamischen Dachverbände von Dirk Halm und Martina Sauer (2015) Programme im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Altenhilfe den Schwerpunkt sozialer Aktivitäten. Demnach verfügen mittlerweile 94% von ihnen über Abteilungen für Kinder und Jugendliche und 54% über Abteilungen für Senioren. Die in der islamischen Religion angelegte Kultur der Spende, der Armenspeisung oder der verpflichtenden Armenabgabe (Zakat), der Nachbarschaftshilfe und andere gemeinwohlorientierte Ansätze bilden Anknüpfungspunkte für eine islamisch konnotierte Wohlfahrtsarbeit. Die Stärke der Angebote muslimischer Vereine liegt darin, dass sie niedrigschwellig und vertrauensvoll Bevölkerungsgruppen aus verschiedenen Herkunftsländern mit ihren spezifischen kulturellen und religiösen Fragen erreichen können.
Insbesondere mit dem Engagement islamischer Vereine im Zuge der Flüchtlingsimmigration und -arbeit Mitte der 2010er Jahre ist die Frage hinsichtlich sozialer Dienstleistungen von Muslim*innen öffentlich sichtbarer geworden und auf die Agenda staatlicher Institutionen gerückt. Von der Deutschen Islam Konferenz des Deutschen Innenministeriums, in der sowohl muslimisch-gemeindliche Akteur*innen als auch staatliche Repräsentant*innen zusammenkommen, ging 2015 ein starker Impuls zur Diskussion der Bedarfe, Fragen und der strukturellen Konsolidierung muslimischer Angebote im sozialen Handlungsfeld aus. Dies hat dazu geführt, dass von den in der AG Wohlfahrtspflege beteiligten acht islamischen Dachverbänden aus zunächst eine bundesweite Informations- und Koordinierungsstelle entstanden ist. 2016 haben sieben der beteiligten Verbände das Islamische Kompetenzzentrum für Wohlfahrtswesen e.V. (IKW e.V.) zur Unterstützung muslimischer Träger bei der Wohlfahrtspflege gegründet. Im Jahr 2018 ist ein bundesweiter Wohlfahrtsverband durch die Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) gegründet worden. Daneben wurden weitere staatlich geförderte und nichtstaatliche Initiativen zur Professionalisierung der muslimischen Wohlfahrtsarbeit umgesetzt. Unter anderem hat der Paritätische Wohlfahrtsverband zwei Modellprojekte zur Qualifizierung muslimischer und alevitischer Wohlfahrtspflege durchgeführt und anschließend das TransferprojektDialog- und Lernplattform zur Unterstützung und Stärkung muslimischer und alevitischer Sozialarbeit vor Ort im April 2020 in verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens gestartet. Gefördert wird das Projekt vom Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen (MKJFGFI NRW). An den Lehrstühlen für islamisch-theologische Studien hat sich zudem seit einigen Jahren verstärkt subdisziplinär der Schwerpunkt Islamische Seelsorge in Forschung und Lehre ausdifferenziert.
Muslimische Wohlfahrt
Verteilung von Dankeschön-Gesten an Corona-Helfer*innen aus der Krankenpflege und in Apotheken durch die Organisation Fudul in Bremen
Iftar to go-Fastenbrechen zum Mitnehmen als Corona Hilfe in der Othman Ibn Affan-Moschee in Rüsselsheim
Gefängnisseelsorgerin Ayfer Dagdemir in der Gefängniskapelle der JVA Rheinbach
Krankenhaus-Seelsorger Emad Quassim in der Medizinischen Hochschule Hannover
Obdachlosen-Speisung der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Berlin
Deutschunterricht für Migrant*innen beim Bund Muslimischer Frauen in Köln
Muslimische Wohlfahrt
Workshop für Gefängnis-Seelsorger*innen des Niedersächsischen Justizministeriums in Kooperation mit dem muslimischen Dachverband Schura
Imran Sagir, Leiter des ersten muslimischen Seelsorge-Telefons
Planungstreffen des Interkulturellen Instituts für Inklusion, ein Verein, der Menschen mit und ohne Behinderung
eine Plattform für die Begegnung mit ihren und anderen Kulturen schaffen möchte
und sich gezielt für gelebte Inklusion einsetzt
Fortbildung des Sozialdienstes Muslimischer Frauen, ein Wohlfahrtsverband mit bundesweit tätigen Mitgliedsorganisationen
M. Samy Adamou, Mitgründer der Crowdfunding-Plattform commonsplace.de,
die Wohlfahrtsprojekte möglich macht
Nothilfe nach dem Hochwasser im Ahrtal durch die Ahmadiyya Muslim Jamaat
Muslimische Wohlfahrt
Samy Charchira — Über Wohlfahrtspflege
Auch im Bereich Nachhaltigkeit und Umweltschutz haben sich einige muslimische Initiativen herausgebildet, die gemeinsam mit anderen Akteuren Missstände angehen möchten, wie etwa Nour Energy oder die Initiative Faire Moschee. Letztere setzt sich beispielsweise für Umwelt- und Naturschutz ein sowie für fairen Konsum und gerechten Handel. Hierbei arbeitet sie vor allem mit Moscheegemeinden, um sie für Umweltschutz und sparsamen Ressourcenverbrauch zu sensibilisieren. Daraus entstand in NRW ein kommunales Netzwerk ‚fairer‘ Moscheen.
Mitglieder von Nour Energy besichtigen eine von ihnen geplante Solar-Anlage auf dem Dach der Emir Sultan-Moschee in Darmstadt. Nour Energy ist die erste muslimisch-deutsche Organisation für Umweltschutz und Nachhaltigkeit.
Muslim*innen beteiligen sich individuell und kollektiv rege in den Bereichen Kultur, Kunst und Sport. 1991 ist von Muslim*innen in Bonn der Internationale SportClub AlHilal gegründet worden, um Sportangebote bereitzustellen, die auch muslimische Belange berücksichtigen. Mittlerweile gehören ihm über 1000 Mitglieder aus mehr als 20 Nationen an. Die meisten stammen aus muslimisch geprägten Ländern. Mit mehreren Projekten versucht der Verein, Sport als Mittel der Integration und des guten interkulturellen Miteinanders zu betreiben und Muslim*innen und Nicht-Muslim*innen gleichermaßen anzusprechen. „Die Diversität sehen wir als Besonderheit und Stärke unseres Vereins, die durch gegenseitigen Respekt Anerkennung erfährt. Durch sportliche Projekte möchten wir eine Verbindung von Sport und Integration über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg herstellen“, so der Verein in seiner Selbstdarstellung.
Stadtimkerin Aischa Ahmad-Bach in Hannover
Firouz Vladi ist pensionierter Geologe und führt Exkursionen durch die Harzer Gipskarstlandschaft. Außerdem ist er Mitgründer des Verbands Muslime in Niedersachsen.
Kinderturn-Trainerin Leona Osmanaj in Hannover
Tänzerin und Tanzlehrerin Zahra Khadraoui bei einem Probetraining im Schlossgarten von Schloss Nymphenburg in München
Nicht erst seit dem Einzug des Word Wide Web in den Alltag haben sich Muslim*innen in Deutschland Zugang zu den Medien verschafft. Mit ihren spezifischen medialen Erzeugnissen richten sie sich seit etwa 40 bis 50 Jahren an bestimmte Zielgruppen. Bis vor einigen Jahren veröffentlichten Muslim*innen ihre Inhalte über eigene Verlage oder Zeitungen; in etablierten Medien waren ihre Perspektiven hingegen bis vor Kurzem nicht repräsentiert.
Zunächst konzentrierte sich die Medienarbeit von Muslim*innen auf herkömmliche Formen: Sie gründeten Verlage zur Veröffentlichung islambezogener Schriften in Deutschland oder stützten sich auf Verlagsunternehmen in den Herkunftsländern, um Bücher, Zeitschriften, Zeitungen oder Informationsblätter zu veröffentlichen. Später kamen Videokassetten, Kassetten, Disketten und CDs hinzu. Hierrüber veröffentlichten sie Inhalte in ausländischer Sprache, aber zunehmend auch deutsche Übersetzungen bestimmter Schriften, Predigten und Vorträge und boten für Autor*innen die Möglichkeit, in deutscher Sprache Bücher und Beiträge zu verschiedenen Themen verfassen und veröffentlichen zu können.
Das frühe Angebot islamisch orientierter Verlage und der Buchhandlungen von Muslim*innen umfasste insbesondere glaubensbezogene Produkte, islamische Kinderbücher, Geschichten von und für Muslim*innen, Sachbücher zu verschiedenen Themen aus Perspektive von Muslim*innen oder von für sie wichtigen Persönlichkeiten sowie Informationsmaterialien zu ihrem Leben und zu ihrer Religion in Deutschland. Eine der bekanntesten Autorinnen solcher Sachbücher ist die Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel. Neben Verlagen und Zeitungen, die an bestimmte islamische Zentren oder Dachverbände angeschlossen waren und sind, gaben immer mehr kleinere Gruppen eigene Schriften heraus. So erschien etwa in den 1990er Jahren die Zeitschrift Huda als Magazin des damaligen Netzwerks von Frauen oder der Rundbrief für die Mitglieder der Deutschen Muslim Liga (DML). Als erste deutschsprachige muslimische Zeitschrift in Deutschland ist im April 1924 in Berlin die Moslemische Revue von der Lahore Ahmadiyya Muslim Jamaat erschienen; sie wurde später vereinigt mit Die Islamische Gegenwart vom Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland Amina-Abdullah-Stiftung e.V. in Soest.
Das Internet mit seinen verschiedenen Möglichkeiten der digitalen Kommunikation und der einfachen Veröffentlichung von Inhalten wurde von Muslim*innen von Anbeginn an rege genutzt. Insbesondere haben sich muslimische Vereine und Dachverbände, aber auch aktive Einzelpersonen früh eine Homepage eingerichtet, wobei die Zahl der Seiten im Internet, die von Muslim*innen und deren Institutionen in Deutschland betrieben werden, unüberschaubar geworden ist. Durch die Entwicklung hin zu einer individualisierten Medienproduktion haben sich somit ihre öffentlich-medialen Angebote erweitert, sie sind sichtbarer geworden. Es gibt in Deutschland mittlerweile eine Vielzahl mehr oder weniger bekannter muslimischer Blogger*innen, YouTuber*innen, Prediger*innen sowie muslimische Podcasts, muslimische Handelsseiten und weitere Formate, die jeweils ganz spezifische Interessen bedienen. Darunter befinden sich allerdings auch radikale Personen oder Gruppen, die aktiv ihre Sichtweisen und ihre Deutungen des Islams über die Möglichkeiten des Internets verbreiten. Eine der prominentesten Seiten war die 2005 von teils radikalen Salafisten eingerichtete und mittlerweile eingestellte Internetplattform Die Wahre Religion. Als Ziel wollten sie die „reine Botschaft“ des Islams verbreiten und das „Bild der Muslime sowie des Islams in Deutschland zu verbessern“. Doch die meisten medialen Aktivitäten von Muslim*innen sind unbedenklich, und besonders junge Muslim*innen nutzen digitale Medien zur Vernetzung und Kommunikation untereinander. Die Veröffentlichung von Ausschnitten und Gedanken insbesondere über private Kurzvideos und Fotos aus ihrem Leben ermöglicht eine Art der Selbstdarstellung, in der individuelle Lebensentwürfe und Verständnisweisen mit explizitem oder implizitem Religionsbezug gepostet werden. Zudem sind Muslim*innen auch zu professionellen Produzent*innen von Filmen, Spielen und Apps mit religiösem Bezug geworden und gestalten auf diese Weise aktiv die digitale Öffentlichkeit mit.
Muslime machen Medien
Nabila Bushra und Farah Bouamar sind die Gründerinnen von Lost Film, eine gemeinnützige Produktionsfirma,
die Horror-Kurzfilme zu gesellschaftskritischen Themen dreht und dabei gendersensibel, rassismuskritisch und nachhaltig arbeitet.
Die Datteltäter sind eine Gruppe junger Medienschaffender, die sich mit politischer Satire für ein deutsch-muslimisches Selbstverständnis und gegen antimuslimische Vorurteile einsetzen.
Dalal Mahra ist Gründerin von Kopftuchmädchen, das erste Medien-Startup für muslimische Frauenstimmen
im deutschsprachigen Raum.
Sümeyra Günaydin gibt auf dem Instagram Profil @Annesgarten Gartentipps,
die sie von ihrer Großmutter (türkisch: anne) bekommen hat.
Mittlerweile führt sie ein Ladengeschäft und einen Onlineshop für Urban Gardening.
Fikri Anıl Altıntaş schreibt über Männlichkeit(en), Rollenbilder, Orientalismus sowie
(De-)Konstruktion von migrantischer, muslimisch-türkischer Männlichkeit.
Namika schreibt als @namika_die_schreiberin auf ihrem Blog und auf Instagram über ihr Leben als deutsche Muslima aus der Perspektive einer Aktivistin gegen antimuslimischen Rassismus und für Frauenrechte. Als angehende Hebamme sind neben Partnerschaft oder Sexualaufklärung medizinische Themen besondere Schwerpunkte für sie.
Vanessa zeigt auf Instagram als @dattelbeere Basteltipps
Muslime machen Medien
Die Journalistin Melina Borčak @melinaborcak entlarvt auf Instagram regelmäßig tendenziöse Berichterstattung und antimuslimischen Rassismus.
Auf dem Instagram-Kanal @amal_tvvv der angehenden Therapeutin Amal geht es vor allem um Witz und Humor.
Sie zeigt humoristische Einblicke in das Zusammenleben mit ihrer Familie.
Charlotte alias @immernocharlotte räumt auf ihren Social Media-Kanälen mit typisch antimuslimischen
Stereotypen auf und gibt Einblick in ihre Lebenswelten als Konvertitin.
Esra Karakaya, Moderatorin und Gastgeberin der Sendung BlackRockTalk, will zeigen, wie divers und innovativ Talkshows auch sein können.
Merve Kayikci gründete den Podcast Primamuslima beim Bayerischen Rundfunk. Im Podcast möchte sie die muslimische Vielfalt in Deutschland sichtbar machen.
Reuf Jasarevic hat @erfolgsmuslim.de gegründet und berät als Life-Coach junge Entrepreneur*innen.
Auf seinen Social Media-Kanälen spricht er über Persönlichkeitsentwicklung im Einklang
mit islamischen Werten und Normen.
Muslime machen Medien
Junus el-Naggar — Über muslimische Medienmacher*innen
Zu den kulturschaffenden muslimischen Initiativen gehört das Satire-Kollektiv Datteltäter in Berlin, das mit der Eröffnung eines YouTube-Kanals 2015 gestartet ist. In kurzen YouTube-Videos behandeln sie Fragen zum deutsch-muslimischen Selbstverständnis und zum gesellschaftlichen Miteinander aus Sicht dieser Minderheiten. Damit adressieren sie nicht nur die spezifische Zielgruppe, sondern regen gesellschaftskritische Debatten in der allgemeinen Öffentlichkeit an und beteiligen sich an diesen auch aktiv. Seit 2016 sind ihre Videos auch über das zu ARD und ZDF gehörende Online-Jugendprogramm Funk einsehbar.
Der Moderator und Journalist Michel Abdollahi gründete seinen eigenen digitalen Fernsehsender, das Vierte Deutsche Fernsehen.
Auch i,Slam e.V., der 2011 gegründet wurde und lange Zeit aktiv war, hat es geschafft, deutsch-muslimische Stimmen und Perspektiven künstlerisch in den kulturellen Bereich der modernen Dichtung einzubringen. In einem Zeitungsbericht der taz gaben seine Gründer an, dass diese Kunstform Muslim*innen durchaus nahe liegt: Schon der Prophet und seine Gefährt*innen seien Dichter*innen gewesen, der Koran sei in Versform verfasst. Doch es geht bei ihnen nur am Rande um Religion, die meisten poems sind gesellschaftskritisch oder einfach nur unterhaltsam. In diesen als Poetry Slams bekanntgewordenen Wettstreits, bei denen sich junge Wortkünstler*innen mit selbstverfassten Texten auf einer Bühne messen, geht es nicht nur um religiöse, sondern um vielfältige Themen, die die meist jungen Dichter*innen bewegen. Letztlich bringen sich damit Muslim*innen über die Kunst des Wortes in die deutsche Kulturlandschaft ein.
Amina bloggt und modelt auf ihrem Account @modestmina zu Modest-Fashion-Themen.
Relativ neu ist das Netzwerk-Projekt Kunst junger Muslim*innen. Es hat zum Ziel, kunstschaffende junge Muslim*innen in Deutschland zusammenzubringen. Es ist Teil des Jugendstil Ideenfonds und wird von ihm mit anderen Initiativen gefördert. Es adressiert das Phänomen, dass es zahlreiche Muslim*innen gibt, die für sich individuell künstlerisch aktiv sind, aber keine Plattform haben und öffentlich zu wenig sichtbar sind.
Leila El-Amaire ist Mitgründerin von i,Slam, Poetry Slams, auf denen nicht über muslimische Jugendliche geredet wird, sondern wo sie selbst das Wort ergreifen. Seit 2020 ist sie Trägerin des Bundesverdienstkreuzes.
Die gesellschaftliche Teilhabe geht aber noch weit über diese spezifischen, von Muslim*innen gegründeten Vereine und Initiativen hinaus. Viele Muslim*innen sind in säkularen Einrichtungen oder Vereinen vor Ort dabei, wie etwa in der freiwilligen Feuerwehr oder im Schützenverein. Sogar an Karnevalsaktivitäten nehmen manche von ihnen teil und beteiligen sich an der örtlichen Vereinsarbeit.
Planungsmeeting des Tamam-Projekts in Berlin: Tamam ist ein Kulturprojekt des Museums für Islamische Kunst. Muslimische Jugendliche sollen über Workshops das islamische Kulturerbe kennenlernen.
Außerdem vernetzen sich muslimische Gruppierungen in ihren Kommunen mit anderen oder bilden übergreifende Partnerschaften aus. So sind beispielsweise einige ihrer Vereine den neuen deutschen organisationen (ndo)angeschlossen, ein postmigrantisches Netzwerk von Vereinen, Organisationen und Projekten aus ganz Deutschland. Sie engagieren sich gemeinsam mit anderen in einem ‚postmigrantischen Bündnis‘ für eine offene Gesellschaft. Das im Jahr 2009 gegründete Aktionsbündnis muslimischer Frauen (AmF), das sich als unabhängiger Zusammenschluss für die Interessen und Gleichstellung muslimischer Frauen in Deutschland einsetzt, hat sich beispielsweise im Jahr 2010 dem Deutschen Frauenrat angeschlossen und bringt sich dort mit ein. Zudem ist das AmF seit 2012 Mitglied bei UN-Women Deutschland.
Erkan Inan ist einer der Initiatoren des Ausarten-Festivals in München, ein Kunst- und Kulturfestival, das jüdisch-muslimische Allianzen sichtbar machen will.
Längst sind Muslim*innen in allen Wirtschaftszweigen und Berufen vorzufinden. Muslimische Ärzt*innen, Anwält*innen, leitende Ingenieur*innen und Unternehmer*innen beteiligen sich am beruflichen Leben und schaffen somit teilweise auch Arbeitsplätze.
In anspruchsvollen und gefährlichen Berufen wie der Polizei und der Bundeswehr sind sie ebenso vertreten wie in den Chefetagen deutscher Unternehmen. Ihre öffentliche ‚Unsichtbarkeit‘ lässt sich als Indiz für die Selbstverständlichkeit ihrer Teilhabe in allen Berufsfeldern – darunter auch hochqualifizierten Berufen – deuten.
Die beiden Feuerwehrleute Mohammad und Ali kamen als Geflüchtete nach Achim.
Polizeioberkommissar Cihan C. in Frankfurt
Die Designerin Bahhareh Karimi erschafft mit dem Modelabel Imaima neue Modest-Fashion-Kreationen.
Der Stuttgarter Architekt Mustafa Rasch verwirklicht Bauprojekte unter anderem in Mekka und Medina. Gemeinsam mit seinem Vater Bodo Rasch plante er die große Turmuhr, die über Mekka thront.
Saliha Schmitz hat sich mit dem Café Wölkchen einen Traum erfüllt. Über das Café hinaus veranstaltet sie mit ihrem Mann Yahya die Gesprächsreihe Coffee and Faith, in der Speaker*innen zu Wort kommen, um über islamisch-theologische Themen zu sprechen.
Go Yolla! ist ein Berliner Start-up, das unter anderem Halal-Lebensmittel bis an die Haustür bringt. Die beiden Mitgründer Omar Halabi und Mohamad El Haj planen, den Lieferdienst demnächst auch in anderen Städten anzubieten.
Am 1. Juli 2009 wurde während einer Verhandlung im Dresdner Landgericht die Ägypterin Marwa El-Sherbini mit 18 Messerstichen vom Angeklagten, der sie auf einem Spielplatz als „Islamistin, Terroristin und Schlampe“ beschimpft und den sie daraufhin angezeigt hatte, ermordet. Die tödliche Attacke ereignete sich während des Berufungsprozesses vor den Augen ihres Sohnes. Dabei wurde ihr Mann, der ihr zur Hilfe eilte, von Polizisten angeschossen, die ihn versehentlich für den Täter hielten.
Der Dresdner Mord hat keine Debatte zum Umgang mit dem Islam und den Muslim*innen in der deutschen Gesellschaft aufgerollt – trotz der Versuche von Muslim*innen, diesen Vorfall als schockierenden Anlass zu nehmen, um zu zeigen,
welche Ausmaße feindliche Haltungen gegenüber Muslim*innen
innerhalb der deutschen Gesellschaft angenommen hat. Dieser Vorwurf einer um sich greifenden Feindseligkeit gegenüber Muslim*innen wurde jedoch in den meisten Medien übergangen und die Messerattacke als Akt eines rassistischen Einzeltäters dargestellt. Jedes Jahr gedenken Muslim*innen in Deutschland mit ihren Vereinen mit einem Aktionstag gegen antimuslimischen Rassismus des Todes von Marwa El-Sherbini.
Bürgerbewegungen mit dezidiert antimuslimischer Programmatik, wie etwa die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida) oder die Pro-Bewegungen (v.a. Pro-NRW), die gegen muslimische Migrant*innen und ihre Glaubensstätten in Ablehnung einer ‚Islamisierung‘ und ‚Überfremdung‘ der Gesellschaft mobil machen, sind insbesondere in den 2000er Jahren entstanden. Vom Verfassungsschutz werden sie als ‚rechtspopulistisch‘ oder extremistisch eingestuft. Aus dem Umkreis solcher Gruppen und einzelner Personen erwuchsen auch islamfeindliche Internetforen, doch sind antimuslimische Äußerungen und Haltungen nicht auf diese begrenzt. Thilo Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab mit der ihm nachfolgenden Debatte zeigt beispielhaft, wie hoch allgemeine Zustimmungswerte zu Äußerungen sind, die Muslim*innen als problematischste Migrantengruppe herausstellen, wobei diese am schlechtesten integriert seien, die höchste Geburtenrate aufwiesen und den größten Anteil an Transferleistungsempfängern stellen. Emotional geladene Debatten wie die rund um die sogenannten ‚Mohammed Karikaturen‘ heizen die Stimmung in der Bevölkerung zusätzlich auf.
Negative Haltungen oder Vorbehalte gegenüber Muslim*innen, deren Religiosität und auch Moscheen als sichtbare Zeichen ihrer Anwesenheit sind indessen laut Untersuchungen wie etwa der Internationalen Studie über religiöse Vielfalt von Detlef Pollack (Universität Münster) aus dem Jahr 2010 weiter verbreitet als in europäischen Nachbarländern und stärker ausgeprägt als gegenüber anderen nichtchristlichen Religionsgruppen. Auch im politischen Diskurs haben nach einer Studie von Nora Fritzsche (2016) antimuslimische Topoi in die Parlamentsdebatten Einzug gefunden.
Die öffentliche Thematisierung negativer Einstellungen gegenüber Muslim*innen oder ihrer Diskriminierung gestaltet sich oftmals schwierig. Bereits die begriffliche Fassung eines solchen Phänomens als ‚Islamophobie‘, ‚Islamfeindlichkeit‘ oder ‚antimuslimischer Rassismus‘ stößt in den Debatten teilweise auf Ablehnung. Auch in der Thematisierung der Erfahrungen von Betroffenen wie auch in der Frage hinsichtlich möglicher Konsequenzen, die aus verbreitet negativen Haltungen für das gesellschaftliche Miteinander erwachsen können, treffen oftmals Vorwürfe auf Abwehrhaltungen, so dass eine lösungsorientierte Diskussion verhindert wird. Beispielhaft zeigte sich die Diskursblockade am Beispiel des Begriffs der ‚Islamophobie‘. Im Rahmen der Forschung zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit am Bielefelder Institut für interdisziplinäre Gewalt- und Konfliktforschung wurde Islamophobie als eine Konkretisierung von Fremdenfeindlichkeit in die wissenschaftliche Forschung einbezogen. Sie äußere sich nach Steffen Kühnel und Jürgen Leipold (2007) durch „generelle ablehnende Einstellungen gegenüber muslimischen Personen und allen Glaubensrichtungen, Symbolen und religiösen Praktiken des Islams“. Doch stößt dieser Terminus weiterhin bei vielen im Alltag auf Unverständnis und Ablehnung. Der Inhaber des Lehrstuhls zu Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen, Heiner Bielefeldt erklärt dies unter anderem durch den Verweis auf die Schwierigkeit der Grenzziehung zwischen Islamkritik und Islamophobie.
Äußerungen von Skepsis, Kritik oder auch Angst gegenüber dem Islam sind in sich noch keine Indizien für einen antimuslimischen Rassismus oder eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. „Wie sämtliche Formen des Rassismus, findet auch der antimuslimische Rassismus unterschiedlichste (auch subtile) Ausprägungen, durch die er auf verschiedenen Ebenen der Bedeutungserzeugung zum Ausdruck gebracht wird. In seinen Grundzügen begreift er ‚den Islam‘ und ‚die Muslime‘ als Entität, die sich signifikant vom christlich-weißen Westen (Europas und der USA) unterscheide und aufgrund dieser ‚Fremdheit‘ nicht hierher gehöre“, so die Rassismusforscherinnen Iman Attia und Mariam Popal.
Mit solchen Befürchtungen ließe sich nach Bielefeldt derart umgehen, dass sie nicht in rassistische Handlungsweisen übergehen dürften. Er schlägt dazu drei Strategien vor: „Es sind dies (1) der Verzicht auf monokausale Erklärungen, insbesondere solcher Erklärungen, die einseitig bei kulturellen oder religiösen Faktoren ansetzen; (2) die Überwindung kulturessentialistischer Vorstellungen von einem zeitlosen Wesen des Islams; (3) ein Verständnis von Aufklärung, das diese als unabgeschlossene gesamtgesellschaftliche Lerngeschichte begreift.“ So gesehen wäre es wichtig, die eigene Einstellung zu überdenken, indem man von kollektiven Zuschreibungen und Schubladendenken abrückt, das Individuum für sich nimmt und ihm vorbehaltlos begegnet.
Auf der anderen Seite haben Muslim*innen mittlerweile auch die Möglichkeit, sich im Falle von Diskriminierung an Antidiskriminierungsstellen zu wenden, die sich zunehmend auch dem Phänomen antimuslimischer Vorfälle widmen. Zunehmend machen junge Muslim*innen zivilgesellschaftlich mobil gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit im Allgemeinen, indem sie sich entsprechenden Bewegungen anschließen oder eigene Initiativen gründen, um gegen Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit vorzugehen.
Antimuslimischer Rassismus
Said Haider ist Gründer des ersten Antidiskriminierungschatbots Yana, eine digitale Beratungsstelle
für von Diskriminierung betroffene Menschen.
Fachtagung für politische Bilder*innen der Muslimischen Akademie Heidelberg: Aufklärung über anti-muslimischen Rassismus und Empowerment für junge Muslim*innen spielen in der politischen Bildung eine wichtige Rolle.
Marco Linguri setzt sich als queerer Imam für mehrfachdiskriminierte Muslim*innen ein.
Antimuslimischer Rassismus
Am Stand der Jungen Islam Konferenz während des Aktionstages gegen antimuslimischen Rassismus
in Leipzig, co-organisiert durch die CLAIM-Allianz
Ahmed Sadkhan ist einer der Moderator*innen von @shiftamr, eine Instagram-Webserie,
die über antimuslimischen Rassismus aufklären will.
Struktureller Rassismus: Fereshta Ludin (links) setzt sich seit 1997 gegen Diskriminierung, Berufsverbot und Rassismus gegenüber muslimische Frauen an Schulen ein und klagte 2003 bis zum Bundesverfassungsgericht. Rabia Küçükşahin startete 2019 eine Petition gegen ein „Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbildes von Beamt*innen“, das auch die Möglichkeit eines Kopftuchverbots einschließt.
Ozan Zakariya Keskinkılıç ist Politikwissenschaftler, Rassismusforscher und freier Autor. 2022 veröffentlichte er das Buch Muslimaniac, in dem er die historischen Wurzeln heutiger antimuslimisch-rassistischer Diskurse seziert.
Antimuslimischer Rassismus
Prof. Dr. Naime Çakir-Mattner im Interview über antimuslimischen Rassismus
Antimuslimischer Rassismus
Auch in die Politik haben Muslim*innen inzwischen Einzug gefunden, und zwar nicht nur im Hintergrund oder in kleinen Amtstuben. Innerhalb mancher Parteien haben sich Arbeitskreise oder Zusammenschlüsse von Muslim*innen gebildet, so etwa der Arbeitskreis Grüne MuslimInnen oder der Arbeitskreis Muslime in der SPD. Sie sind bei Wahlen in ihren Städten aktiv und treten dort teilweise bei Kommunal- und Landtagswahlen und zunehmend auch bei Bundestagswahlen an. Lamya Kaddor, muslimische Religionspädagogin und Gründungsvorsitzende des Liberal-islamischen Bundes, ist beispielsweise seit 2021 als Grünen-Politikerin Mitglied des Deutschen Bundestags. Als erste muslimische CDU-Bundestagsabgeordnete konnte in der vorherigen Legislaturperiode Cemile Giousouf politisch mitwirken. Doch der Fall Şener Şahin, der für den CSU-Ortsvorstand im bayerischen Wallerstein für das Amt des Bürgermeisters kandidieren wollte, zeigt: Es ist immer noch nicht einfach für Menschen mit Migrationshintergrund, in etablierten Parteien voranzukommen. Gegen seine Kandidatur gab es so großen Widerstand in den eigenen Reihen, dass er seine Bewerbung zurückzog.
Belit Onay, Oberbürgermeister der Stadt Hannover
Mazhar Klalib Alashabi bietet in seiner King Konditorei syrische Baklava an.
Sawsan Chebli, ehemalige Staatssekretärin und Mitgründerin des Vereins JUMA (Jung, muslimisch, aktiv)
Hassan Akkouch startete seine Schauspielkarriere am Ballhaus Naunynstraße. Nachdem er später Schauspiel in München studierte, spielt er heute in verschiedensten Film und Serien-Produktionen, von Tatort über 4 Blocks bis WaPo Berlin.
Religionspädagogin und Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor
Hülya Süzen ist Oberfähnrich bei der Bundeswehr und setzt sich dort für gesellschaftliche Vielfalt ein.
Studentin Hamida arbeitet neben ihrem Studium als Zahnmedizinerin als Model für Modest Fashion.
Die Ärztin Dr. Hatun Karakaş betreibt neben ihrer Arbeit Social Media-Kanäle, auf denen sie Medizinthemen aus islamischer Sicht reflektiert.
Büşra Qadir ist Mitgründerin von Nindyaa, einem Start-up, das nachhaltige Textilien wie Bettwäsche anbietet.
Ataman Yildirim ist Gründer des ersten muslimischen Karnevalsvereins in Düsseldorf, Orient-Okzident-Express.
Der Berliner Sapeur Maddy. Die Sapeur (übersetzt etwa Dandy) sind eine soziale Bewegung, die in Zentralafrika gegen den Kolonialismus entstanden ist. Die Sapeur protestieren mit farbenfroher Mode gegen Willkür und Bevormundung.
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Bildnachweis
Alle Fotografien von Julius Matuschik.
Danksagungen
Ein besonderer Dank gebührt allen Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen, die ihre Türen für Moinundsalam.de geöffnet haben.
Außerdem geht ein herzliches Dankeschön an Götz Nordbruch, Samy Charchira, Junus el-Naggar und Prof. Dr. Naime Çakir-Mattner für ihre wertvolle Expertise.
2022 © moinundsalam.de
In den vergangenen Jahrzehnten ist die Gesellschaft zunehmend bunter und vielfältiger geworden. Die Pluralisierung in Deutschland wird u.a. mit Prozessen der Individualisierung und der Globalisierung erklärt. Diesem Wandel unterliegt auch die muslimische Bevölkerung, und zugleich treibt sie ihn mit an. Als integraler Teil der Gesellschaft gestalten Muslim*innen nicht nur innerhalb ihrer eigenen Communities das Zusammenleben mit, sondern auch darüber hinaus in allen Bereichen ihres gesellschaftlichen Umfelds. So wirken sie u.a. beruflich, künstlerisch, wirtschaftlich und politisch. Dieses Kapitel zeigt auf, wie Muslim*innen in der Gesellschaft arbeiten und wirken, und es stellt dabei folgende Fragen:
• Mit welchen Aktivitäten gestalten Muslim*innen heutzutage das gesellschaftliche Leben über ihre eigenen Vereine hinaus mit?
• Welche Institutionen haben Muslim*innen u.a. in den Bereichen Wohlfahrt, Medien und Kultur ausgebildet?
• Welche Formen der Radikalisierung unter Muslim*innen und des antimuslimischen Rassismus haben sich ausgebildet und wie wirken sie sich auf das Zusammenleben aus?
Die Berliner Medizin-Studentin Säli und ihr Hobby: Longboard-Fahren
Die große Mehrheit der Muslim*innen ist Teil der deutschen Gesellschaft, und viele sind über ihre religiösen und ethnischen Gemeinschaften hinaus in vielen Bereichen eingebunden. Ihre Religionszugehörigkeit stellt sie meist nicht vor besondere Herausforderungen im Alltag; Konflikte deswegen gibt es in seltenen Fällen.
Fußballturnier Imam gegen Pfarrer auf dem Tempelhofer Feld in Berlin
Auch Muslim*innen unterliegen den Anforderungen sich wandelnder Verhältnisse. Insbesondere in dem Ausnahmezustand während der ersten Zeit der Covid-19-Pandemie war zu merken, dass alle gleichermaßen von den Schwierigkeiten betroffen waren. In Gesprächsforen wie etwa dem Roundtable der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft an der Goethe-Universität Frankfurt zu Fragen des Lockdowns und der Digitalisierung für Glaubensgemeinschaften unter Corona-Bedingungen zeigte sich im interreligiösen Gespräch, dass die Herausforderungen für Muslim*innen und auch die Folgen und Maßnahmen, die ergriffen wurden, nicht anders waren als für jüdische und christliche Gemeinden. Durch solche Austauschprozesse auf Augenhöhe erleben die Teilnehmer*innen, dass letztlich alle Mitglieder der Gesellschaft im selben Boot sitzen und man voneinander lernen und sich im Miteinander durch schwierige Zeiten lotsen kann.
Cansever Büyüt, ehemaliger Volkswagen-Angestellter und Mitgründer einer der ersten muslimischen Gemeinden in Hannover
Das Selbstverständnis der Muslim*innen als Bürger*innen ist heute viel stärker ausgeprägt als vor 50 Jahren zur Zeit des Zuzugs der Gastarbeiter*innen, auch weil damals ihr Aufenthalt in Deutschland noch von allen Seiten als nur vorübergehend betrachtet wurde. Deshalb wurde auch ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft angezweifelt. Für die Mehrheit der Muslim*innen aber ist es heute selbstverständlich, Teil der Gesellschaft zu sein und sich als vollwertige Bürger*innen zu verstehen. Es gelingt ihnen immer besser, mit ihrem Engagement aktiv beteiligt zu sein, in ihren Kommunen und darüber hinaus Verantwortung zu tragen und als Akteur*innen wahrgenommen zu werden. Viele von ihnen sind dabei im Gespräch und im Austausch mit anderen oder setzen gemeinsame Projekte um, ohne in ihrem Handeln auf ihre jeweilige Community beschränkt zu bleiben. Zwar fühlen sie sich von den kritischen medialen Islamdebatten gestört, von Resignation kann dennoch keine Rede sein. Stattdessen versuchen sie, selbst mitzumischen und ihre Meinung kundzutun. Doch trotz der vielen positiven Beispiele sind auch ‚schwarze Schafe‘ unter ihnen zu finden, die sich radikalen Positionen zugewandt haben und sich von der gesellschaftlichen Umgebung absondern wollen.
Musiker und Aktivist Waseem in München
Mangold-Ernte in Sufiland, einem Gemeinschaftsprojekt von Muslim*innen am Bodensee
In der deutschen Politik und Öffentlichkeit wird das Phänomen des Extremismus und der Radikalisierung unter Muslim*innen in Deutschland seit den 1990er Jahren zunehmend als Bedrohung für Gesellschaft und Staat aufgefasst und seither thematisiert. Mit Rückgriff auf den Begriff des ‚islamischen Fundamentalismus‘ sind zunächst religiöse Ausprägungen im Ausland betrachtet worden, die eine wörtliche Auslegung ihrer heiligen Schriften und Traditionen vornehmen und für entsprechende politische und gesellschaftliche Veränderungen eintreten. Während einige Autor*innen schon damals generell vor ausgeprägt religiösen Vereinen hierzulande warnten, verwiesen Islamwissenschaftler wie beispielsweise Peter Heine etwa darauf, dass ‚fundamentalistische‘ Muslim*innen nicht grundsätzlich gewalttätig oder bedrohlich seien, sich aber aus deren Mitte heraus radikale Vorstellungen entwickeln können. Damit unterliegt von Beginn an die Thematisierung verfassungsfeindlicher Auswüchse bestimmter islambezogener Interpretations- und Praxisformen der Schwierigkeit der Abgrenzung und Beschreibung der Zonen, die als extremistisch oder radikal eingeschätzt und abgelehnt werden.
Es wird grob gefasst zwischen drei Ausprägungen eines religiös konnotierten Extremismus unter Muslim*innen unterschieden:
Erstens gibt es das Phänomen der (gewaltablehnenden) Anhänger*innen einer politischen Ideologie. Generell werden sie etwa als Islamisten oder Anhänger*innen des sogenannten politischen Islams bezeichnet. Zu den vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppierungen hierzulande gehören insbesondere Sympathisant*innen oder Unterstützer*innen von Bewegungen im Ausland, die eine aus der Religion abgeleitete Vorstellung einer Gesellschaftsordnung als Staatsform durchsetzen wollen.
Davon unterschieden wird zweitens das Phänomen einer gewaltbereiten Minderheit, die gewaltzentrierte Interpretationsweisen islamischer Quellen betont und darauf beruhende Parolen verbreitet. Diese Gruppe umfasst auch das Spektrum muslimischer Terroristen sowie gewaltbereite und zu Hass und Gewalt aufrufende Extremist*innen, Fanatist*innen oder Dschihadist*innen.
Von den Gruppen mit gesellschaftlichen Veränderungsambitionen werden wiederum drittens solche unterschieden, die in ihren geschlossenen Gemeinschaften eine buchstabengetreue Lesart des Islams praktizieren, diese propagieren und sich von der Gesellschaft absondern. Dazu werden sogenannte salafistische Gruppierungen gezählt, Wahhabit*innen (Anhänger*innen der saudisch-hanbalitischen Islamauffassung) oder die Tabligh Jamaat (Missionsbewegung der indischen Deobandi). Solche Strömungen lehnen von ihnen abweichende tradierte Formen des Islams ab und streben eine Rückkehr zum Vorbild der ‚lauteren Vorfahren‘ (al-salaf al-ṣaliḥ) in ihrer Lebensweise - gemäß ihres eigenen, andere Verständnisweisen ausgrenzenden Verständnisses - an.
Der kontroverse Diskurs rund um extremistisch-religiöse Auswüchse unter Muslim*innen zeigt: Einerseits darf die Gefahr, die von einer religiös konnotierten Radikalisierung für Sicherheit und Frieden der Gesellschaft ausgeht, nicht unterschätzt werden. Andererseits sind Begriffe und Definitionen manchmal schwammig und von den politischen Perspektiven ihrer Urheber*innen geprägt. Doch die Grenze zwischen legitimen konservativ-religiösen Praktiken einerseits und klar gesellschaftsgefährdenden Aktivitäten mit religiöser Deutung andererseits muss klar gezogen werden. Ohne eine solche Abgrenzung wird in manchen Debatten ein Generalverdacht gegen konservativ-religiöse Gruppen gefördert, was wiederum radikale Gruppen mit ihren Konflikte schürenden Parolen stärkt. Häufig wecken solche Form der Behandlung des Problems den Widerstand von Muslim*innen und kann die Wirksamkeit von Präventionsarbeit schmälern. Nicht zuletzt ist Muslim*innen selbst die Bekämpfung radikaler Auswüchse innerhalb ihrer Community wichtig. So beteiligen sie sich an den zahlreichen Programmen und Projekten zur Deradikalisierung und Prävention, die in den vergangenen Jahren ins Leben gerufen wurden. Außerdem versuchen sie sich – insbesondere nach Anschlägen, die von muslimischen Attentäter*innen verübt werden – zu distanzieren und sind Teil von Bewegungen, die generell für Frieden und gegen Rassismus agieren.
Radikalisierung und Extremismus
unter Muslim*innen
Radikalisierung und Extremismus
unter Muslim*innen
Karoline Roscher-Lagzouli — Über Radikalisierung
Radikalisierung und Extremismus
unter Muslim*innen
Der Islamwissenschaftler Hakan Çelik arbeitet in der Deradikalisierung und Extremismusprävention.
Götz Nordbruch — Über
Extremismus
Fahrradtour durch Deutschland unter dem Motto Muslime für Frieden, organisiert durch die Ahmadiyya Muslim Jamaat
Bei genauerem Hinsehen lässt sich ein vielfältiges Engagement von Muslim*innen verzeichnen, das teilweise religiös motiviert ist. Im vergangenen Jahrzehnt sind zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen von Muslim*innen ins Leben gerufen worden. Im Bereich von Dialog und politischer Bildung beispielsweise haben sie deutschsprachige Foren geschaffen, um miteinander und mit anderen gesellschaftlichen und politischen Akteur*innen ins Gespräch zu kommen oder um sich weiterzubilden. So ist beispielsweise die Alhambra Gesellschaft e.V. 2017 als muslimisches Debattenforum entstanden. In deutscher Sprache veröffentlichen Mitglieder des Vereins religiöse Inhalte wie etwa die Freitagsworte, eine Art Internet-Freitagspredigt. Doch im Mittelpunkt der Aktivitäten stehen ein öffentliches Debattenformat – das Muslimische Quartett und seit neuerem Das unbequeme Gespräch – sowie ein parlamentarisches Forum, um generell Streitfragen rund um Glauben und Gesellschaft zu diskutieren.
Solidaritätsgebet im Rahmen einer Black Lives Matter-Demonstration in Berlin
Auf kommunaler Ebene hat sich als weiteres Beispiel 2013 eine Initiative Heidelberger Muslime gebildet, die sich die „Entmarginalisierung von Muslimen im kommunalen Miteinander“ zum Ziel gesetzt haben. Ihnen geht es um die Bereitstellung von „Dienstleistung an der Gesellschaft aus einer gottbewussten Haltung heraus“. Aus dieser Initiative heraus entstand sodann die Muslimische Akademie Heidelberg, der es um Bildung im Sinne der Selbstermächtigung und um Empowerment geht. Damit wirken die jungen muslimischen Akteur*innen in die Gesamtgesellschaft hinein mit der klaren Ambition, „Synergien zwischen der religiösen und der säkularen Sphäre zu ermöglichen“. Über Netzwerkarbeit und Partnerschaften u.a. mit christlichen Akademien sowie anderen Träger*innen der politischen Bildung und muslimischen Körperschaften beteiligen sie sich an wichtigen Diskussionen und übernehmen gesellschaftliche Verantwortung.
Eren Güvercin ist einer der Gründer der Alhambra Gesellschaft e.V., in der sich Muslime für ein plurales Europa engagieren.
Initiiert von der Humboldt-Universität zu Berlin und der Stiftung Mercator ist weiterhin im Jahr 2011 die Junge Islam Konferenz ins Leben gerufen worden. Sie führt junge Menschen im Alter zwischen 17 und 25 Jahre zusammen, die sich miteinander islambezogenen Fragen unserer Zeit widmen möchten. Sie setzen sich zudem ausgehend von ihren diversen Hintergründen mit aktuellen Fragen des Umgangs mit und nach Möglichkeiten der gemeinsamen Gestaltung pluralistischer Lebenswelten auseinander.
Tag der Offenen Moschee in der Al Mahdi-Moschee in Neufahrn bei Freising
Ein weiteres Beispiel für ein zivilgesellschaftliches Engagement im Bereich der Inklusion von Menschen mit Behinderung ist das 2014 ins Leben gerufene Interkulturelle Institut für Inklusion e.V. Zwar geht die Gründung auf Muslim*innen zurück, die sich ehrenamtlich für ein besseres Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung einsetzen und die vor allem Muslim*innen das Thema Inklusion näherbringen wollen. Doch arbeitet der Verein auch über die muslimische Community hinaus mit anderen zusammen, um generell für eine religions- und kultursensible Behandlung von Menschen mit Behinderung aus verschiedenen Kulturräumen zu sensibilisieren.
Intensivpflegerin Farah Demir an der Medizinischen Hochschule Hannover
Die ersten Pfeiler für eine islamisch konnotierte Wohlfahrtsarbeit als Summe sozialer Unterstützungsangebote von Muslim*innen innerhalb und außerhalb ihrer islamischen Institutionen wurden mit Beginn der religiösen Selbstorganisation in Deutschland gesetzt. Mit einfachen Mitteln und den ihnen verfügbaren Möglichkeiten boten Mitglieder verschiedener muslimischer Vereine oder Gemeinschaften bereits zu Beginn der 1970er Jahre einander ihre Hilfe an, zunächst noch eher informell und unstrukturiert. Diese ehrenamtlichen wechselseitigen Unterstützungsformen nach Bedarf unter Muslim*innen mit ähnlichen kulturellen bzw. sozialen Erfahrungen und Hintergründen haben sich in den vergangenen Jahren zunehmend ausgeweitet und sind in strukturiertere Formen sozialer Angebote übergegangen. Beispielsweise sind in Moscheegemeinden eigene Abteilungen u.a. für Jugendarbeit oder Sterbe- und Bestattungsfragen entstanden. Doch insgesamt sind soziale Angebote muslimischer Vereine bis heute eher schwach strukturiert, basieren überwiegend auf ehrenamtlicher Arbeit und sind selten Teil der etablierten Wohlfahrtsstrukturen.
Soziale Wohlfahrtsarbeit von Muslimen ist sowohl innerhalb islamischer Glaubensgemeinschaften wie Moscheevereinen zu finden wie auch außerhalb. Eine tendenziell professionalisierte soziale Arbeit von Muslim*innen, die sich in ihrer Qualität den Maßgaben etablierter deutscher Wohlfahrtseinrichtungen angenähert hat, ist jedoch zumeist außerhalb von Moscheen verortet. In kleinen Ortsvereinen, die sich auf bestimmte soziale Tätigkeiten spezialisiert haben, hat sich an vielen Orten Deutschlands von muslimischen Altenpflegediensten bis hin zu Frauenvereinen, Jugendinitiativen oder Obdachlosenspeisung ein breit gefächertes soziales Hilfsangebot manifestiert. Innerhalb der Moscheevereine bildeten gemäß einer Studie zu den sozialen Angeboten in den Gemeinden der islamischen Dachverbände von Dirk Halm und Martina Sauer (2015) Programme im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Altenhilfe den Schwerpunkt sozialer Aktivitäten. Demnach verfügen mittlerweile 94% von ihnen über Abteilungen für Kinder und Jugendliche und 54% über Abteilungen für Senioren. Die in der islamischen Religion angelegte Kultur der Spende, der Armenspeisung oder der verpflichtenden Armenabgabe (Zakat), der Nachbarschaftshilfe und andere gemeinwohlorientierte Ansätze bilden Anknüpfungspunkte für eine islamisch konnotierte Wohlfahrtsarbeit. Die Stärke der Angebote muslimischer Vereine liegt darin, dass sie niedrigschwellig und vertrauensvoll Bevölkerungsgruppen aus verschiedenen Herkunftsländern mit ihren spezifischen kulturellen und religiösen Fragen erreichen können.
Insbesondere mit dem Engagement islamischer Vereine im Zuge der Flüchtlingsimmigration und -arbeit Mitte der 2010er Jahre ist die Frage hinsichtlich sozialer Dienstleistungen von Muslim*innen öffentlich sichtbarer geworden und auf die Agenda staatlicher Institutionen gerückt. Von der Deutschen Islam Konferenz des Deutschen Innenministeriums, in der sowohl muslimisch-gemeindliche Akteur*innen als auch staatliche Repräsentant*innen zusammenkommen, ging 2015 ein starker Impuls zur Diskussion der Bedarfe, Fragen und der strukturellen Konsolidierung muslimischer Angebote im sozialen Handlungsfeld aus. Dies hat dazu geführt, dass von den in der AG Wohlfahrtspflege beteiligten acht islamischen Dachverbänden aus zunächst eine bundesweite Informations- und Koordinierungsstelle entstanden ist. 2016 haben sieben der beteiligten Verbände das Islamische Kompetenzzentrum für Wohlfahrtswesen e.V. (IKW e.V.) zur Unterstützung muslimischer Träger bei der Wohlfahrtspflege gegründet. Im Jahr 2018 ist ein bundesweiter Wohlfahrtsverband durch die Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) gegründet worden. Daneben wurden weitere staatlich geförderte und nichtstaatliche Initiativen zur Professionalisierung der muslimischen Wohlfahrtsarbeit umgesetzt. Unter anderem hat der Paritätische Wohlfahrtsverband zwei Modellprojekte zur Qualifizierung muslimischer und alevitischer Wohlfahrtspflege durchgeführt und anschließend das TransferprojektDialog- und Lernplattform zur Unterstützung und Stärkung muslimischer und alevitischer Sozialarbeit vor Ort im April 2020 in verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens gestartet. Gefördert wird das Projekt vom Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen (MKJFGFI NRW). An den Lehrstühlen für islamisch-theologische Studien hat sich zudem seit einigen Jahren verstärkt subdisziplinär der Schwerpunkt Islamische Seelsorge in Forschung und Lehre ausdifferenziert.
Muslimische Wohlfahrt
Verteilung von Dankeschön-Gesten an Corona-Helfer*innen aus der Krankenpflege und in Apotheken durch die Organisation Fudul in Bremen
Iftar to go-Fastenbrechen zum Mitnehmen als Corona Hilfe in der Othman Ibn Affan-Moschee in Rüsselsheim
Gefängnisseelsorgerin Ayfer
Dagdemir in der Gefängniskapelle
der JVA Rheinbach
Krankenhaus-Seelsorger
Emad Quassim in der Medizinischen
Hochschule Hannover
Obdachlosen-Speisung der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Berlin
Deutschunterricht für Migrant*innen beim Bund Muslimischer Frauen in Köln
Muslimische Wohlfahrt
Workshop für Gefängnis-Seelsorger*innen des Niedersächsischen Justizministeriums in Kooperation mit dem muslimischen Dachverband Schura
Imran Sagir, Leiter des ersten muslimischen Seelsorge-Telefons
Planungstreffen des Interkulturellen Instituts für Inklusion, ein Verein, der sich gezielt für gelebte Inklusion einsetzt
Fortbildung des Sozialdienstes Muslimischer Frauen, ein Wohlfahrtsverband mit bundesweit
tätigen Mitgliedsorganisationen
M. Samy Adamou, Mitgründer der Crowdfunding-Plattform commonsplace.de, die
Wohlfahrtsprojekte möglich macht
Nothilfe nach dem Hochwasser
im Ahrtal durch die
Ahmadiyya Muslim Jamaat
Muslimische Wohlfahrt
Samy Charchira — Über
Wohlfahrtspflege
Auch im Bereich Nachhaltigkeit und Umweltschutz haben sich einige muslimische Initiativen herausgebildet, die gemeinsam mit anderen Akteuren Missstände angehen möchten, wie etwa Nour Energy oder die Initiative Faire Moschee. Letztere setzt sich beispielsweise für Umwelt- und Naturschutz ein sowie für fairen Konsum und gerechten Handel. Hierbei arbeitet sie vor allem mit Moscheegemeinden, um sie für Umweltschutz und sparsamen Ressourcenverbrauch zu sensibilisieren. Daraus entstand in NRW ein kommunales Netzwerk ‚fairer‘ Moscheen.
Mitglieder von Nour Energy besichtigen eine von ihnen geplante Solar-Anlage auf dem Dach der Emir Sultan-Moschee in Darmstadt. Nour Energy ist die erste muslimisch-deutsche Organisation für Umweltschutz und Nachhaltigkeit.
Stadtimkerin Aischa Ahmad-Bach in Hannover
Muslim*innen beteiligen sich individuell und kollektiv rege in den Bereichen Kultur, Kunst und Sport. 1991 ist von Muslim*innen in Bonn der Internationale SportClub AlHilal gegründet worden, um Sportangebote bereitzustellen, die auch muslimische Belange berücksichtigen. Mittlerweile gehören ihm über 1000 Mitglieder aus mehr als 20 Nationen an. Die meisten stammen aus muslimisch geprägten Ländern. Mit mehreren Projekten versucht der Verein, Sport als Mittel der Integration und des guten interkulturellen Miteinanders zu betreiben und Muslim*innen und Nicht-Muslim*innen gleichermaßen anzusprechen. „Die Diversität sehen wir als Besonderheit und Stärke unseres Vereins, die durch gegenseitigen Respekt Anerkennung erfährt. Durch sportliche Projekte möchten wir eine Verbindung von Sport und Integration über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg herstellen“, so der Verein in seiner Selbstdarstellung.
Firouz Vladi ist pensionierter Geologe und führt Exkursionen durch die Harzer Gipskarstlandschaft. Außerdem ist er Mitgründer des Verbands Muslime in Niedersachsen.
Kinderturn-Trainerin Leona Osmanaj in Hannover
Tänzerin und Tanzlehrerin Zahra Khadraoui bei einem Probetraining im Schlossgarten von Schloss Nymphenburg in München
Nicht erst seit dem Einzug des Word Wide Web in den Alltag haben sich Muslim*innen in Deutschland Zugang zu den Medien verschafft. Mit ihren spezifischen medialen Erzeugnissen richten sie sich seit etwa 40 bis 50 Jahren an bestimmte Zielgruppen. Bis vor einigen Jahren veröffentlichten Muslim*innen ihre Inhalte über eigene Verlage oder Zeitungen; in etablierten Medien waren ihre Perspektiven hingegen bis vor Kurzem nicht repräsentiert.
Zunächst konzentrierte sich die Medienarbeit von Muslim*innen auf herkömmliche Formen: Sie gründeten Verlage zur Veröffentlichung islambezogener Schriften in Deutschland oder stützten sich auf Verlagsunternehmen in den Herkunftsländern, um Bücher, Zeitschriften, Zeitungen oder Informationsblätter zu veröffentlichen. Später kamen Videokassetten, Kassetten, Disketten und CDs hinzu. Hierrüber veröffentlichten sie Inhalte in ausländischer Sprache, aber zunehmend auch deutsche Übersetzungen bestimmter Schriften, Predigten und Vorträge und boten für Autor*innen die Möglichkeit, in deutscher Sprache Bücher und Beiträge zu verschiedenen Themen verfassen und veröffentlichen zu können.
Das frühe Angebot islamisch orientierter Verlage und der Buchhandlungen von Muslim*innen umfasste insbesondere glaubensbezogene Produkte, islamische Kinderbücher, Geschichten von und für Muslim*innen, Sachbücher zu verschiedenen Themen aus Perspektive von Muslim*innen oder von für sie wichtigen Persönlichkeiten sowie Informationsmaterialien zu ihrem Leben und zu ihrer Religion in Deutschland. Eine der bekanntesten Autorinnen solcher Sachbücher ist die Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel. Neben Verlagen und Zeitungen, die an bestimmte islamische Zentren oder Dachverbände angeschlossen waren und sind, gaben immer mehr kleinere Gruppen eigene Schriften heraus. So erschien etwa in den 1990er Jahren die Zeitschrift Huda als Magazin des damaligen Netzwerks von Frauen oder der Rundbrief für die Mitglieder der Deutschen Muslim Liga (DML). Als erste deutschsprachige muslimische Zeitschrift in Deutschland ist im April 1924 in Berlin die Moslemische Revue von der Lahore Ahmadiyya Muslim Jamaat erschienen; sie wurde später vereinigt mit Die Islamische Gegenwart vom Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland Amina-Abdullah-Stiftung e.V. in Soest.
Das Internet mit seinen verschiedenen Möglichkeiten der digitalen Kommunikation und der einfachen Veröffentlichung von Inhalten wurde von Muslim*innen von Anbeginn an rege genutzt. Insbesondere haben sich muslimische Vereine und Dachverbände, aber auch aktive Einzelpersonen früh eine Homepage eingerichtet, wobei die Zahl der Seiten im Internet, die von Muslim*innen und deren Institutionen in Deutschland betrieben werden, unüberschaubar geworden ist. Durch die Entwicklung hin zu einer individualisierten Medienproduktion haben sich somit ihre öffentlich-medialen Angebote erweitert, sie sind sichtbarer geworden. Es gibt in Deutschland mittlerweile eine Vielzahl mehr oder weniger bekannter muslimischer Blogger*innen, YouTuber*innen, Prediger*innen sowie muslimische Podcasts, muslimische Handelsseiten und weitere Formate, die jeweils ganz spezifische Interessen bedienen. Darunter befinden sich allerdings auch radikale Personen oder Gruppen, die aktiv ihre Sichtweisen und ihre Deutungen des Islams über die Möglichkeiten des Internets verbreiten. Eine der prominentesten Seiten war die 2005 von teils radikalen Salafisten eingerichtete und mittlerweile eingestellte Internetplattform Die Wahre Religion. Als Ziel wollten sie die „reine Botschaft“ des Islams verbreiten und das „Bild der Muslime sowie des Islams in Deutschland zu verbessern“. Doch die meisten medialen Aktivitäten von Muslim*innen sind unbedenklich, und besonders junge Muslim*innen nutzen digitale Medien zur Vernetzung und Kommunikation untereinander. Die Veröffentlichung von Ausschnitten und Gedanken insbesondere über private Kurzvideos und Fotos aus ihrem Leben ermöglicht eine Art der Selbstdarstellung, in der individuelle Lebensentwürfe und Verständnisweisen mit explizitem oder implizitem Religionsbezug gepostet werden. Zudem sind Muslim*innen auch zu professionellen Produzent*innen von Filmen, Spielen und Apps mit religiösem Bezug geworden und gestalten auf diese Weise aktiv die digitale Öffentlichkeit mit.
Muslime machen Medien
Nabila Bushra und Farah Bouamar drehen als Lost Film Horror-Kurzfilme zu gesellschaftskritischen Themen.
Die Datteltäter setzen sich mit
politischer Satire gegen
antimuslimische Vorurteile ein.
Dalal Mahra ist Gründerin von Kopftuchmädchen, das erste Medien-Startup für muslimische Frauenstimmen
im deutschsprachigen Raum.
Sümeyra Günaydin gibt als @Annesgarten Gartentipps, die sie von ihrer Großmutter (türkisch: anne) bekommen hat.
Fikri Anıl Altıntaş schreibt über Männlichkeit(en), Rollenbilder, Orientalismus sowie
(De-)Konstruktion von migrantischer, muslimisch-türkischer Männlichkeit.
Namika schreibt als @namika_die_schreiberin über ihr Leben als deutsche Muslima aus der Perspektive einer Aktivistin.
Vanessa zeigt auf Instagram als @dattelbeere Basteltipps
Muslime machen Medien
Die Journalistin Melina Borčak @melinaborcak entlarvt auf Instagram regelmäßig tendenziöse Berichterstattung und antimuslimischen Rassismus.
Auf dem Instagram-Kanal @amal_tvvv
der angehenden Therapeutin Amal geht es
vor allem um Witz und Humor. Sie zeigt humoristische Einblicke in das Zusammenleben mit ihrer Familie.
Charlotte alias @immernocharlotte räumt auf ihren Social Media-Kanälen mit typisch antimuslimischen Stereotypen auf und gibt Einblick in ihre Lebenswelten als Konvertitin.
Esra Karakaya, Moderatorin und Gastgeberin der Sendung BlackRockTalk, will zeigen, wie divers und innovativ Talkshows auch sein können.
Merve Kayikci gründete den
Podcast Primamuslima beim
Bayerischen Rundfunk.
Reuf Jasarevic hat @erfolgsmuslim.de gegründet und berät als Life-Coach junge Entrepreneur*innen.
Muslime machen Medien
Junus el-Naggar — Über muslimische Medienmacher*innen
Zu den kulturschaffenden muslimischen Initiativen gehört das Satire-Kollektiv Datteltäter in Berlin, das mit der Eröffnung eines YouTube-Kanals 2015 gestartet ist. In kurzen YouTube-Videos behandeln sie Fragen zum deutsch-muslimischen Selbstverständnis und zum gesellschaftlichen Miteinander aus Sicht dieser Minderheiten. Damit adressieren sie nicht nur die spezifische Zielgruppe, sondern regen gesellschaftskritische Debatten in der allgemeinen Öffentlichkeit an und beteiligen sich an diesen auch aktiv. Seit 2016 sind ihre Videos auch über das zu ARD und ZDF gehörende Online-Jugendprogramm Funk einsehbar.
Der Moderator und Journalist Michel Abdollahi gründete seinen eigenen digitalen Fernsehsender, das Vierte Deutsche Fernsehen.
Amina bloggt und modelt auf ihrem Account @modestmina zu Modest-Fashion-Themen.
Auch i,Slam e.V., der 2011 gegründet wurde und lange Zeit aktiv war, hat es geschafft, deutsch-muslimische Stimmen und Perspektiven künstlerisch in den kulturellen Bereich der modernen Dichtung einzubringen. In einem Zeitungsbericht der taz gaben seine Gründer an, dass diese Kunstform Muslim*innen durchaus nahe liegt: Schon der Prophet und seine Gefährt*innen seien Dichter*innen gewesen, der Koran sei in Versform verfasst. Doch es geht bei ihnen nur am Rande um Religion, die meisten poems sind gesellschaftskritisch oder einfach nur unterhaltsam. In diesen als Poetry Slams bekanntgewordenen Wettstreits, bei denen sich junge Wortkünstler*innen mit selbstverfassten Texten auf einer Bühne messen, geht es nicht nur um religiöse, sondern um vielfältige Themen, die die meist jungen Dichter*innen bewegen. Letztlich bringen sich damit Muslim*innen über die Kunst des Wortes in die deutsche Kulturlandschaft ein.
Leila El-Amaire ist Mitgründerin von i,Slam, Poetry Slams, auf denen nicht über muslimische Jugendliche geredet wird, sondern wo sie selbst das Wort ergreifen. Seit 2020 ist sie Trägerin des Bundesverdienstkreuzes.
Relativ neu ist das Netzwerk-Projekt Kunst junger Muslim*innen. Es hat zum Ziel, kunstschaffende junge Muslim*innen in Deutschland zusammenzubringen. Es ist Teil des Jugendstil Ideenfonds und wird von ihm mit anderen Initiativen gefördert. Es adressiert das Phänomen, dass es zahlreiche Muslim*innen gibt, die für sich individuell künstlerisch aktiv sind, aber keine Plattform haben und öffentlich zu wenig sichtbar sind.
Planungsmeeting des Tamam-Projekts in Berlin: Tamam ist ein Kulturprojekt des Museums für Islamische Kunst. Muslimische Jugendliche sollen über Workshops das islamische Kulturerbe kennenlernen.
Die gesellschaftliche Teilhabe geht aber noch weit über diese spezifischen, von Muslim*innen gegründeten Vereine und Initiativen hinaus. Viele Muslim*innen sind in säkularen Einrichtungen oder Vereinen vor Ort dabei, wie etwa in der freiwilligen Feuerwehr oder im Schützenverein. Sogar an Karnevalsaktivitäten nehmen manche von ihnen teil und beteiligen sich an der örtlichen Vereinsarbeit.
Erkan Inan ist einer der Initiatoren des Ausarten-Festivals in München, ein Kunst- und Kulturfestival, das jüdisch-muslimische Allianzen sichtbar machen will.
Außerdem vernetzen sich muslimische Gruppierungen in ihren Kommunen mit anderen oder bilden übergreifende Partnerschaften aus. So sind beispielsweise einige ihrer Vereine den neuen deutschen organisationen (ndo)angeschlossen, ein postmigrantisches Netzwerk von Vereinen, Organisationen und Projekten aus ganz Deutschland. Sie engagieren sich gemeinsam mit anderen in einem ‚postmigrantischen Bündnis‘ für eine offene Gesellschaft. Das im Jahr 2009 gegründete Aktionsbündnis muslimischer Frauen (AmF), das sich als unabhängiger Zusammenschluss für die Interessen und Gleichstellung muslimischer Frauen in Deutschland einsetzt, hat sich beispielsweise im Jahr 2010 dem Deutschen Frauenrat angeschlossen und bringt sich dort mit ein. Zudem ist das AmF seit 2012 Mitglied bei UN-Women Deutschland.
Die beiden Feuerwehrleute Mohammad und Ali kamen als Geflüchtete nach Achim.
Längst sind Muslim*innen in allen Wirtschaftszweigen und Berufen vorzufinden. Muslimische Ärzt*innen, Anwält*innen, leitende Ingenieur*innen und Unternehmer*innen beteiligen sich am beruflichen Leben und schaffen somit teilweise auch Arbeitsplätze.
In anspruchsvollen und gefährlichen Berufen wie der Polizei und der Bundeswehr sind sie ebenso vertreten wie in den Chefetagen deutscher Unternehmen. Ihre öffentliche ‚Unsichtbarkeit‘ lässt sich als Indiz für die Selbstverständlichkeit ihrer Teilhabe in allen Berufsfeldern – darunter auch hochqualifizierten Berufen – deuten.
Polizeioberkommissar Cihan C. in Frankfurt
Die Designerin Bahhareh Karimi erschafft mit dem Modelabel Imaima neue Modest-Fashion-Kreationen.
Der Stuttgarter Architekt Mustafa Rasch verwirklicht Bauprojekte unter anderem in Mekka und Medina. Gemeinsam mit seinem Vater Bodo Rasch plante er die große Turmuhr, die über Mekka thront.
Saliha Schmitz hat sich mit dem Café Wölkchen einen Traum erfüllt. Über das Café hinaus veranstaltet sie mit ihrem Mann Yahya die Gesprächsreihe Coffee and Faith, in der Speaker*innen zu Wort kommen, um über islamisch-theologische Themen zu sprechen.
Go Yolla! ist ein Berliner Start-up, das unter anderem Halal-Lebensmittel bis an die Haustür bringt. Die beiden Mitgründer Omar Halabi und Mohamad El Haj planen, den Lieferdienst demnächst auch in anderen Städten anzubieten.
Am 1. Juli 2009 wurde während einer Verhandlung im Dresdner Landgericht die Ägypterin Marwa El-Sherbini mit 18 Messerstichen vom Angeklagten, der sie auf einem Spielplatz als „Islamistin, Terroristin und Schlampe“ beschimpft und den sie daraufhin angezeigt hatte, ermordet. Die tödliche Attacke ereignete sich während des Berufungsprozesses vor den Augen ihres Sohnes. Dabei wurde ihr Mann, der ihr zur Hilfe eilte, von Polizisten angeschossen, die ihn versehentlich für den Täter hielten.
Der Dresdner Mord hat keine Debatte zum Umgang mit dem Islam und den Muslim*innen in der deutschen Gesellschaft aufgerollt – trotz der Versuche von Muslim*innen, diesen Vorfall als schockierenden Anlass zu nehmen, um zu zeigen,
welche Ausmaße feindliche Haltungen gegenüber Muslim*innen
innerhalb der deutschen Gesellschaft angenommen hat. Dieser Vorwurf einer um sich greifenden Feindseligkeit gegenüber Muslim*innen wurde jedoch in den meisten Medien übergangen und die Messerattacke als Akt eines rassistischen Einzeltäters dargestellt. Jedes Jahr gedenken Muslim*innen in Deutschland mit ihren Vereinen mit einem Aktionstag gegen antimuslimischen Rassismus des Todes von Marwa El-Sherbini.
Bürgerbewegungen mit dezidiert antimuslimischer Programmatik, wie etwa die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida) oder die Pro-Bewegungen (v.a. Pro-NRW), die gegen muslimische Migrant*innen und ihre Glaubensstätten in Ablehnung einer ‚Islamisierung‘ und ‚Überfremdung‘ der Gesellschaft mobil machen, sind insbesondere in den 2000er Jahren entstanden. Vom Verfassungsschutz werden sie als ‚rechtspopulistisch‘ oder extremistisch eingestuft. Aus dem Umkreis solcher Gruppen und einzelner Personen erwuchsen auch islamfeindliche Internetforen, doch sind antimuslimische Äußerungen und Haltungen nicht auf diese begrenzt. Thilo Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab mit der ihm nachfolgenden Debatte zeigt beispielhaft, wie hoch allgemeine Zustimmungswerte zu Äußerungen sind, die Muslim*innen als problematischste Migrantengruppe herausstellen, wobei diese am schlechtesten integriert seien, die höchste Geburtenrate aufwiesen und den größten Anteil an Transferleistungsempfängern stellen. Emotional geladene Debatten wie die rund um die sogenannten ‚Mohammed Karikaturen‘ heizen die Stimmung in der Bevölkerung zusätzlich auf.
Negative Haltungen oder Vorbehalte gegenüber Muslim*innen, deren Religiosität und auch Moscheen als sichtbare Zeichen ihrer Anwesenheit sind indessen laut Untersuchungen wie etwa der Internationalen Studie über religiöse Vielfalt von Detlef Pollack (Universität Münster) aus dem Jahr 2010 weiter verbreitet als in europäischen Nachbarländern und stärker ausgeprägt als gegenüber anderen nichtchristlichen Religionsgruppen. Auch im politischen Diskurs haben nach einer Studie von Nora Fritzsche (2016) antimuslimische Topoi in die Parlamentsdebatten Einzug gefunden.
Die öffentliche Thematisierung negativer Einstellungen gegenüber Muslim*innen oder ihrer Diskriminierung gestaltet sich oftmals schwierig. Bereits die begriffliche Fassung eines solchen Phänomens als ‚Islamophobie‘, ‚Islamfeindlichkeit‘ oder ‚antimuslimischer Rassismus‘ stößt in den Debatten teilweise auf Ablehnung. Auch in der Thematisierung der Erfahrungen von Betroffenen wie auch in der Frage hinsichtlich möglicher Konsequenzen, die aus verbreitet negativen Haltungen für das gesellschaftliche Miteinander erwachsen können, treffen oftmals Vorwürfe auf Abwehrhaltungen, so dass eine lösungsorientierte Diskussion verhindert wird. Beispielhaft zeigte sich die Diskursblockade am Beispiel des Begriffs der ‚Islamophobie‘. Im Rahmen der Forschung zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit am Bielefelder Institut für interdisziplinäre Gewalt- und Konfliktforschung wurde Islamophobie als eine Konkretisierung von Fremdenfeindlichkeit in die wissenschaftliche Forschung einbezogen. Sie äußere sich nach Steffen Kühnel und Jürgen Leipold (2007) durch „generelle ablehnende Einstellungen gegenüber muslimischen Personen und allen Glaubensrichtungen, Symbolen und religiösen Praktiken des Islams“. Doch stößt dieser Terminus weiterhin bei vielen im Alltag auf Unverständnis und Ablehnung. Der
Inhaber des Lehrstuhls zu Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen, Heiner Bielefeldt erklärt dies unter anderem durch den Verweis auf die Schwierigkeit der Grenzziehung zwischen Islamkritik und Islamophobie.
Äußerungen von Skepsis, Kritik oder auch Angst gegenüber dem Islam sind in sich noch keine Indizien für einen antimuslimischen Rassismus oder eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. „Wie sämtliche Formen des Rassismus, findet auch der antimuslimische Rassismus unterschiedlichste (auch subtile) Ausprägungen, durch die er auf verschiedenen Ebenen der Bedeutungserzeugung zum Ausdruck gebracht wird. In seinen Grundzügen begreift er ‚den Islam‘ und ‚die Muslime‘ als Entität, die sich signifikant vom christlich-weißen Westen (Europas und der USA) unterscheide und aufgrund dieser ‚Fremdheit‘ nicht hierher gehöre“, so die Rassismusforscherinnen Iman Attia und Mariam Popal.
Mit solchen Befürchtungen ließe sich nach Bielefeldt derart umgehen, dass sie nicht in rassistische Handlungsweisen übergehen dürften. Er schlägt dazu drei Strategien vor: „Es sind dies (1) der Verzicht auf monokausale Erklärungen, insbesondere solcher Erklärungen, die einseitig bei kulturellen oder religiösen Faktoren ansetzen; (2) die Überwindung kulturessentialistischer Vorstellungen von einem zeitlosen Wesen des Islams; (3) ein Verständnis von Aufklärung, das diese als unabgeschlossene gesamtgesellschaftliche Lerngeschichte begreift.“ So gesehen wäre es wichtig, die eigene Einstellung zu überdenken, indem man von kollektiven Zuschreibungen und Schubladendenken abrückt, das Individuum für sich nimmt und ihm vorbehaltlos begegnet.
Auf der anderen Seite haben Muslim*innen mittlerweile auch die Möglichkeit, sich im Falle von Diskriminierung an Antidiskriminierungsstellen zu wenden, die sich zunehmend auch dem Phänomen antimuslimischer Vorfälle widmen. Zunehmend machen junge Muslim*innen zivilgesellschaftlich mobil gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit im Allgemeinen, indem sie sich entsprechenden Bewegungen anschließen oder eigene Initiativen gründen, um gegen Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit vorzugehen.
Antimuslimischer Rassismus
Said Haider ist Gründer und Erfinder
des ersten Antidiskriminierungschatbots
Yana.
Fachtagung für politische Bilder*innen der Muslimischen Akademie Heidelberg.
Marco Linguri setzt sich als queerer Imam für mehrfachdiskriminierte Muslim*innen ein.
Antimuslimischer Rassismus
Am Stand der Jungen Islam Konferenz während des Aktionstages gegen
antimuslimischen Rassismus
in Leipzig, co-organisiert durch
die CLAIM-Allianz
Ahmed Sadkhan ist Moderator von @shiftamr, eine Webserie, die über antimuslimischen
Rassismus aufklären will.
Fereshta Ludin (links) und Rabia Küçükşahin setzen sich beide gegen antimuslimischen Rassismus ein.
Antimuslimischer Rassismus
Prof. Dr. Naime Çakir-Mattner im Interview über antimuslimischen Rassismus
Antimuslimischer Rassismus
Auch in die Politik haben Muslim*innen inzwischen Einzug gefunden, und zwar nicht nur im Hintergrund oder in kleinen Amtstuben. Innerhalb mancher Parteien haben sich Arbeitskreise oder Zusammenschlüsse von Muslim*innen gebildet, so etwa der Arbeitskreis Grüne MuslimInnen oder der Arbeitskreis Muslime in der SPD. Sie sind bei Wahlen in ihren Städten aktiv und treten dort teilweise bei Kommunal- und Landtagswahlen und zunehmend auch bei Bundestagswahlen an. Lamya Kaddor, muslimische Religionspädagogin und Gründungsvorsitzende des Liberal-islamischen Bundes, ist beispielsweise seit 2021 als Grünen-Politikerin Mitglied des Deutschen Bundestags. Als erste muslimische CDU-Bundestagsabgeordnete konnte in der vorherigen Legislaturperiode Cemile Giousouf politisch mitwirken. Doch der Fall Şener Şahin, der für den CSU-Ortsvorstand im bayerischen Wallerstein für das Amt des Bürgermeisters kandidieren wollte, zeigt: Es ist immer noch nicht einfach für Menschen mit Migrationshintergrund, in etablierten Parteien voranzukommen. Gegen seine Kandidatur gab es so großen Widerstand in den eigenen Reihen, dass er seine Bewerbung zurückzog.
Belit Onay, Oberbürgermeister der Stadt Hannover
Mazhar Klalib Alashabi bietet in seiner King Konditorei syrische Baklava an.
Sawsan Chebli, ehemalige Staatssekretärin und Mitgründerin des Vereins JUMA (Jung, muslimisch, aktiv)
Hassan Akkouch startete seine Schauspielkarriere am Ballhaus Naunynstraße. Nachdem er später Schauspiel in München studierte, spielt er heute in verschiedensten Film und Serien-Produktionen, von Tatort über 4 Blocks bis WaPo Berlin.
Religionspädagogin und Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor
Hülya Süzen ist Oberfähnrich bei der Bundeswehr und setzt sich dort für gesellschaftliche Vielfalt ein.
Studentin Hamida arbeitet neben ihrem Studium als Zahnmedizinerin als Model für Modest Fashion.
Die Ärztin Dr. Hatun Karakaş betreibt neben ihrer Arbeit Social Media-Kanäle, auf denen sie Medizinthemen aus islamischer Sicht reflektiert.
Büşra Qadir ist Mitgründerin von Nindyaa, einem Start-up, das nachhaltige Textilien wie Bettwäsche anbietet.
Ataman Yildirim ist Gründer des ersten muslimischen Karnevalsvereins in Düsseldorf, Orient-Okzident-Express.
Der Berliner Sapeur Maddy. Die Sapeur (übersetzt etwa Dandy) sind eine soziale Bewegung, die in Zentralafrika gegen den Kolonialismus entstanden ist. Die Sapeur protestieren mit farbenfroher Mode gegen Willkür und Bevormundung.
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Bildnachweis
Alle Fotografien von Julius Matuschik.
Danksagungen
Ein besonderer Dank gebührt den Vertreter*innen der Moscheegemeinden, allen voran Aiman El Attar (Bilal-Moschee Aachen), Mohammad Ale Hosseini (Islamisches Zentrum Hamburg), Mohammad Luqman und Ilyas Munir (Ahmadiyya Muslim Jamaat), die ihre Archive für das Projekt geöffnet haben, sowie den Mitarbeiter*innen der verschiedenen Sammlungen, die die hier gezeigten Fotografien aufbewahren und zugänglich machen. Ein herzlicher Dank sei auch an Thomas Ugé gerichtet, der die Geschichte von Abdullah Weisser erstmals aufbereitet hat und dem die Bildschätze aus dem Leben Weissers zu verdanken sind. Darüber hinaus danke ich Karin Scherrer und Joachim Weisser, die geholfen haben, die Geschichte ihres Vaters Abdullah Weisser zu rekonstruieren. Ein herzliches Dankeschön geht ebenfalls an Wolfgang Schröck-Schmidt für den Zugang zur Schwetzinger Moschee.
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