Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hielten sich nur einige tausend Muslim*innen in Deutschland auf. Was die islamische Religion und Religionsstätten anbelangte, so war das Land ein weitgehend unbestelltes Feld. Die vereinzelt stattfindenden religiösen Vereinsaktivitäten, die es früher gegeben hatte, waren zum Erliegen gekommen. Dieses Kapitel präsentiert exemplarisch Nahaufnahmen aus dieser Phase der allmählichen Entwicklung von Glaubensgemeinschaften verschiedener muslimischer Gruppierungen und zeigt, wie Muslim*innen unter den Bedingungen der Nachkriegszeit bis kurz nach der Wiedervereinigung in Deutschland gelebt haben:
• Wie, von wo und weshalb sind Muslim*innen nach Deutschland gelangt?
• Unter welchen Bedingungen haben Muslim*innen ihre Religion bis in die 1990er-Jahre gelebt?
• Wie haben sich islamische Institutionen, etwa Moscheen und islamische Organisationen, entwickelt?
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Islam insbesondere im Zuge von Immigrationsbewegungen nach Deutschland gelangt und hat sich erst seit den 1950er-Jahren gesellschaftlich und institutionell nachhaltig verankern können. Vorher waren zeitweilig Strukturen entstanden, die etwa im Falle der Gemeinschaft der Lahore-Ahmadiyya auch missionarische Züge trugen. Die meisten anderen Vereinigungen dienten hingegen vordergründig der gemeinsamen Pflege der eigenen Religion und des interreligiösen Dialogs. Die gegenwärtige institutionelle Form des Islams beruht allerdings kaum auf der Vergemeinschaftung von Muslim*innen zu jener Zeit, sondern hauptsächlich auf der religiösen Selbstorganisation nachfolgender Immigrant*innen aus verschiedenen Ländern, die bei ihrer Ankunft auch ihre „Religion mit im Gepäck“ (Martin Baumann) hatten.
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Imam Abdullah Weisser leitet das Freitagsgebet in der Schwetzinger Moschee (vermutlich 1957), ein Kunstbau, der ursprünglich nur zu Dekorationszwecken erbaut wurde. Weisser und dessen Gemeinde mieteten das Gebäude für die muslimische religiöse Praxis temporär an.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben zunächst muslimische Kriegsflüchtlinge und Heeresangehörige in Deutschland gelebt. Aus ihrer Mitte ist zum Beispiel im März 1951 die „Religionsgemeinschaft Islam“ mit Hauptsitz in München und Nebenstelle in Nürnberg entstanden, die von einem bosnischen Imam geleitet wurde. Sie hat sich gezielt der religiösen Betreuung muslimischer Flüchtlinge und deren Familien gewidmet, unter anderem aus Kasachstan, Albanien, Usbekistan und vom Balkan.
„Erst nach dem zweiten Weltkrieg haben sich Muslim*innen dauerhaft und in größerer Zahl in Deutschland eingefunden. Mit ihnen sind die Fundamente für eine kontinuierliche bis in die heutige Zeit reichende und damit beständige organisatorische und gesellschaftliche Entfaltung islamischer Religion in Deutschland gelegt worden."
Weitere Muslim*innen gelangten bald aus unterschiedlichen Regionen, zu verschiedenen Zeiten und aus mannigfaltigen Gründen nach Deutschland. Zu jener Zeit gab es für sie in Deutschland so gut wie keine religiösen Institutionen und die islamische Religion war innerhalb weiter Teile der deutschen Bevölkerung kaum bekannt. Die wenigen Muslime, die in den 1950er- und 1960er-Jahren in Deutschland eintrafen oder lebten, füllten das institutionelle und soziale Vakuum, indem sie sich eigeninitiativ Gelegenheiten und Räume schafften, um religiöse Riten und Praktiken in ihrem Alltag vollziehen und beibehalten zu können. Ihre Aktivitäten konzentrierten sich auf die Sicherung einer Selbstversorgung und die Vermittlung der Lehre an den eigenen Nachwuchs und die Gläubigen; sie dienten nicht der Missionierung.
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Muslimische Arbeitsmigranten*innen beten in einem „Gebetswagon“, der von der deutschen Bahn zur Verfügung gestellt wurde, Hannover, 1964, Foto: Wilhelm Hauschild
In den 1950er-Jahren war die Zahl der Muslim*innen in Westdeutschland sehr gering. Sie wurde auf 8.000 Personen geschätzt (Rhein-Neckar Zeitung vom 9. Juni 1954). Zum Ende der 1970er-Jahre war ihre Zahl dann auf rund 1,5 Millionen in der BRD angestiegen. Dies stellte einen großen Zuwachs dar, der sich insbesondere mit der befristeten Anwerbepolitik und der Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte teilweise aus muslimisch geprägten Ländern wie der Türkei oder Marokko erklären lässt.
Bis 1988 haben sich mit ihnen in Westdeutschland nach Angaben von Bernhard Priesmeier 894 islamische Gemeinden für die nahezu 1,9 Millionen Muslim*innen ausgebildet. Über drei Viertel der damals hier ansässigen Muslim*innen waren türkischstämmig. Dies erweckte den Eindruck, der Islam sei die Religion der türkischen Gastarbeiter*innen. Daneben hat es jedoch immer Muslim*innen anderer ethnischer Gruppierungen und beispielsweise Studierende und Asylsuchende gegeben sowie die „deutschstämmigen Muslim*innen “, also nicht immigrierte Deutsche islamischen Glaubens. Die Zahl letzterer wurde 1980 auf etwa 1.200 geschätzt.
Angaben zur muslimischen Präsenz in der damaligen DDR sind hingegen kaum verfügbar. In den wenigen Gemeinden, die es gab, kamen vor allem muslimische Studierende und Berufstätige aus den dem damaligen Ostblock zugehörigen Staaten wie Syrien, Algerien oder dem Jemen zusammen.
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Islamische Waschung im „Gebetswagon“ der Deutschen Bahn, Hannover, 1964, Foto: Wilhelm Hauschild
Die ursprüngliche institutionelle und die im Alltag sichtbare soziale Manifestation der islamischen Religion war besonders durch Migrant*innen und deren religiöse Kulturen geprägt. Doch selbst wenn damals der Anteil an angeworbenen Arbeitskräften (vor allem aus der Türkei) innerhalb der muslimischen Bevölkerung bis Ende der 1990er-Jahre recht hoch war, lässt sich die islamische Gemeinschaft nicht nur auf deren Kreis reduzieren. Der Islam war nie bloß eine „Gastarbeiterreligion“ und islamische Institutionen auch nicht hauptsächlich türkisch.
Neben den vielen muslimischen Arbeitsmigranten*innen hat es engagierte deutsche Konvertit*innen gegeben, die neben den ethnisch geprägten Gebetsstätten von Immigranten-Gruppen deutsch-muslimische Vereinigungen gegründet haben. Einzelne islamische Zentren sind zudem aus dem Zusammenwirken von Muslim*innen verschiedener Herkunft und sozialer Milieus heraus entstanden, unter denen es zahlreiche Akademiker*innen gegeben hat. Später hat sich das muslimische Leben noch weiter ausdifferenziert durch die vielen in Deutschland geborenen und sozialisierten Nachkommen dieser Immigranten.
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Eine Gruppe Hamburger Muslime trifft sich privat zur Koranrezitation, Hamburg, 1952.
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Schuhe von Moscheebesuchern der Schwetzinger Moschee, vermutlich 1957, Foto: Hans Roden
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Arabischstämmige Studentinnen an der Humboldt Universität, Ost-Berlin, DDR, 1985, Foto: Mahmoud Dabdoub
Einerseits fehlte es in Deutschland an einer islamischen Infrastruktur, andererseits wollten die zugewanderten Muslim*innen ihre religiöse Praxis nicht aufgeben, sondern aufrechterhalten. Somit nutzten sie die in ihrem Umfeld gegebenen Möglichkeiten, beispielsweise in den Fabriken, ihren Wohnheimen oder unterwegs, um religiöse Akte einzeln oder gemeinsam zu vollziehen.
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Imam ohne Moschee: Id-Gebet um das Jahr 1949 im damaligen Wohnsitz von Imam Abdullatif in Hamburg, wo er später die Ahmadiyya- Moscheegemeinde Fazl e-Omar gründete.
Durch den Zuzug von Muslim*innen (v.a. Gastarbeiter, Flüchtlinge, Studierende und deren Familienangehörige) aus unterschiedlichen Regionen war die muslimische Bevölkerungsgruppe in Deutschland von Beginn an sehr divers, nicht nur was ethnische Hintergründe und Sprachen anbelangt, sondern auch in ihrer religiösen Orientierung und Praxis. Viele kleinere und größere Strömungen der unterschiedlichen Lehrrichtungen des Islams waren in Deutschland vertreten, so die Hauptströmungen des sunnitischen und schiitischen Islams mit einer Varianz an Lehrzweigen und Rechtsschulen. Und auch sehr kleine, aber wirksame Denominationen wie die Ahmadiyya oder das Alevitentum fanden so Einzug ins Land. Daneben gab es noch sehr kleine Sufi-Orden und Bruderschaften von Muslim*innen, die eine betont spirituelle Form des Glaubens praktizierten. Bei dieser theologischen Diversität blieb es nicht. Einige muslimische Gruppierungen orientierten sich teilweise an Akteuren, Bewegungen, oder Institutionen aus ihren jeweiligen Herkunftsländern, wie etwa dem Iran oder der Türkei, und übernahmen deren verschiedene religionspolitische und ideologische Ausrichtungen.
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Mokkatafel der noch jungen Hamburger Gemeinde im Wohnhaus von Imam Abdullatif. Neben dem Imam (rechts) sitzen die Gemeindemitglieder Herr Dünger und Frau Amina, Hamburg, 1950.
In der Frühzeit des Zuzugs von Muslim*innen kam diese interne Heterogenität institutionell und praktisch noch weniger zum Tragen. Es ging den Menschen vordergründig zunächst darum, sich zu orientieren und das Mindestmaß an individueller und kollektiver Religionsausübung aufrechtzuerhalten. Dabei schafften sie sich im Freien oder im Privaten vereinzelt die Möglichkeit für kleinere glaubenspraktische Handlungen, sei es auf einem Rastplatz mit einem Gebetsteppich das Gebet zu verrichten, eine islamische Eheschließung im Gemeindehaus einer Kirchengemeinde zu vollziehen oder in der Privatwohnung gemeinsam im Koran zu lesen.
Da die meisten zugewanderten Muslim*innen annahmen, ihr Aufenthalt in Deutschland sei lediglich vorübergehender Natur, ging es ihnen zunächst darum, sich provisorisch die Möglichkeit nicht nur der individuellen, sondern auch der gemeinschaftlichen Religionsausübung in der Fremde zu sichern. Dazu trafen sie sich manchmal privat oder fragten in bestehenden Institutionen punktuell Räume an, später mieteten sie sich längerfristiger Wohnungen oder Gebäude und gestalteten sie in einfacher Weise um, sodass sie von innen nach Maßgabe religiöser und sozialer Bedarfe ausgestattet wurden.
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Eine Gruppe Hamburger Muslime trifft sich zum Freitagsgebet im Garten eines Gemeindemitglieds. Sie gründeten später die Imam Ali Moschee, Hamburg, 1952.
In der damaligen Hauptstadt Bonn boten ihnen manchmal ihre Konsulate oder Botschaften Raum für den Vollzug von Gebeten, Eheschließungen oder Unterstützung im Todesfall. Bekannt sind zudem zahlreiche Fälle, in denen christliche Kirchengemeinden in Deutschland Muslim*innen Räume beispielsweise für religiöse Feste oder den Vollzug von Gebeten überlie.en. Auch übergaben gelegentlich Arbeitgeber*innen oder Universitätsinstitute muslimischen Arbeitnehmer*innen oder Studierenden Räumlichkeiten zum Vollzug religiöser Pflichten. Auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) half gelegentlich muslimischen Familien dabei, Orte für deren kulturelle und damit implizit auch religiöse Aktivitäten zu nutzen.
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Hamburger Muslime treffen sich im privaten Kreis zum Gebet, Hamburg, 1952
„Mit der Zeit ist der Islam über die Alltagspraxis muslimischer Gläubiger, ihre gemeinschaftliche Glaubenspflege im Rahmen religiöser Vereine und später als Diskursthema und Gegenstand in öffentlichen Einrichtungen zum festen Teil der gesellschaftlichen Realität in Deutschland geworden."
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Arbeiter während einer Gebetspause am Flughafen Frankfurt, 1965
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1965 stellte der Domkapitel des Kölner Doms muslimischen Gastarbeiter das Nordschiff zum Eid-Gebet zur Verfügung. Ein einmaliger Vorgang der später für heftige Kontroverse in der Kölner Stadtgesellschaft sorgte.
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Mittagsgebet, Gelsenkirchen-Buer, 1982, Foto: Henning Christoph
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Schächten in Vorbereitung auf das Opferfest, Essen-Altendorf, um 1978, Foto: Henning Christoph
Aus der gewachsenen Zahl an Muslim*innen insbesondere innerhalb größerer Städte Westdeutschlands ergaben sich Gruppenbildungen, die, oft angeleitet durch besonders engagierte Personen, lokale Initiativen zum Aufbau einer religiösen Infrastruktur zur Selbstversorgung ausbildeten. Neben den aus der Bevölkerungsmitte heraus gewachsenen kleineren religiösen Gemeinschaften deutscher Muslim*innen, von Studierenden, Akademiker*innen und Händler*innen sowie von Kriegsflüchtlingen zog besonders die Zuwanderung von angeworbenen Arbeitskräften – den sogenannten Gastarbeiter*innen aus der Türkei, dem damaligen Jugoslawien und aus Nordafrika ab den 1960er Jahren – die Gründung einer Vielzahl an religiösen Vereinen von Muslim*innen mit ähnlichem ethnischen Hintergrund vor Ort nach sich.
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Festakt zur Eröffnung der Nuur-Moschee in Frankfurt am Main, 12. September 1959. Ehrengast ist Sir Zafrullah Khan (Diplomat, ehem. Außenminister Pakistans, Präsident der UNO-Vollversammlung), damals Vizepräsident des Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Ganz links sitzt Abdullatif, der damalige leitende Imam der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Deutschland.
Zur gemeinschaftlichen Ausübung ihrer Religion suchten sich Muslim*innen aus ähnlichen sozialen Milieus und derselben Sprachfamilie an unterschiedlichen Orten ihres Lebens kleine Räumlichkeiten, die sie für das gemeinsame Gebet, das soziale Miteinander und den Religionsunterricht nutzten. Mit der Zeit entstanden über Mitgliedsbeiträge und Spenden kleine Vereine zu religiösen und kulturellen Zwecken als Vorläufer für spätere größere Raumanmietungen, später Gebäudeankäufe und dann für Moscheebauprojekte.
„Die frühe islamische Gemeinschaftsbildung geht größtenteils auf die Eigeninitiative verschiedener Immigrantengruppen vor Ort zurück, die über Selbsthilfe ihre religiöse Grundversorgung sichern wollten, sich gegenseitig unterstützten und ihre Heimatkultur miteinander pflegten. Daneben gab es vereinzelt deutsche Vereine und internationale Moscheezentren."
So vorübergehend, wie muslimische Immigrant*innen damals in Deutschland zu leben glaubten – sei es als Studierende, Geflüchtete oder als Gastarbeiter*innen– so einfach und provisorisch waren folglich ihre Gebetsorte bis in die 1990er-Jahre hinein ausgestaltet.
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Weit und breit die einzige Moschee: Gläubige aus ganz Hessen nach dem Ende des Id-Gebets in der Frankfurter Nuur-Moschee. Da die Moschee bald zu klein wurde, leitete der Imam vielfach mehrere Gruppen nacheinander, 1965.
Entsprechend den Möglichkeiten, Bedürfnissen und Interessen der jeweiligen Gründungsgruppen wurden damals die ersten institutionellen Pfeiler für den organisierten Islam in verschiedenen Städten sowie auf dem Land – überwiegend im westlichen Teil Deutschlands – gesetzt, auf denen heute ein vielförmig verästeltes, diverses Vereinsleben von Muslim*innen verschiedener Ethnien und sozialer Milieus entlang tradierter islamischer Strömungen und Lehrausrichtungen beruht.
Die ersten größeren Moscheebauprojekte waren ebenfalls der Initiative dieser lokalen Gruppierungen zu verdanken, die damit dauerhaft nutzbare Orte nicht nur punktuell und provisorisch für sich, sondern vorausschauend umfassender für in Deutschland lebende Muslim*innen schaffen wollten.
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Rohbau der Imam Ali Moschee an der Hamburger Außenalster, ca. 1965.
Im weiteren zeitlichen Verlauf schlossen sie sich größtenteils zu umfangreicheren ethnisch-religiösen Verbänden oder, vereinzelt, auch zu multinationalen Dachorganisationen zusammen und differenzierten sich untereinander immer weiter aus. Die meisten bis heute bestehenden größten bundesweiten islamischen Dachverbände wurden aufgrund des Zusammenschlusses einer Mehrzahl an Ortsvereinen in den 1970er- und 1980er-Jahren über die Errichtung einer zentralen Organisationseinheit mit entsprechender Satzung etabliert. Obwohl diese nicht mit den in Deutschland bekannten Kirchenstrukturen vergleichbar waren und sind, sprechen einige Beobachter*innen angesichts der bundesweiten strukturellen Verfestigung der islamischen Religion in Großverbänden von einer „Verkirchlichung des Islams“.
Dennoch erweckte die bottom-up, also von unten heraus, entstandene organisatorische Formation islamischer Religion insgesamt den Eindruck eines intransparenten und fragwürdigen strukturellen „Wildwuchses“. Dazu trugen insbesondere die Ausbreitung religiöspolitischer Orientierungen mit unterschiedlichen Anbindungsformen an ausländische Institutionen oder Gruppierungen einzelner religiöser Verbände bei. Zweifel an deren Loyalität zum Staat und zu seiner Verfassung machten sich daher in der Öffentlichkeit breit und an der Integrationsbereitschaft ihrer Mitglieder kamen bald öffentlich Zweifel auf. Insgesamt blieben der deutschen Gesellschaft der Islam und die Muslim*innen bis in die 1990er-Jahre hinein nicht nur fremd und weitgehend unvertraut, sondern weckten mehr noch als Neugierde eher Ressentiments und Skepsis gegenüber einer immer sichtbarer werdenden Religionsgemeinschaft.
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Freitagsgebet im Rohbau der Imam Ali Moschee an der Hamburger Außenalster, ca. 1965.
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Famiilen um die Gemeinde der Bilal Moschee Aachen legen selbst Hand an im Garten der Moschee, 1967.
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Koranunterricht in einer Moschee in Gelsenkirchen-Resse, Oktober 1982, Foto: Henning Christoph
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Freitagsgebet in der Freimann Moschee in München, 1979
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Umbau der Bilal Moschee in Aachen, 1978
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Unterrichtsraum in der Islamischen Akademie Friedrichsdorf, 1981
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Sheikh Mohamad Nazim Al-Haqqani, der 40. Großscheich des Naqschbandi-Ordens besucht Deutsche und Schweizer Muslim*innen auf der Schweibenalp (Schweiz), 1980
Das alltägliche wie auch das glaubensgemeinschaftliche Leben von Muslim*innen in der deutschen Gesellschaft war von Beginn an in mehrfacher Hinsicht vielfältig gewesen. Muslimische Familien fügten sich in ihre jeweilige Umgebung ein und entwickelten über ihre Begegnungs- und Religionsstätten herum Aktivitäten, die allmählich öffentlich wahrnehmbar wurden. Beispielsweise luden sie Nachbar*innen zu ihren Festen ein oder nahmen selbst an örtlichen Festivitäten wie dem Karneval teil.
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Sheikh Mohamad Nazim al-Haqqani, der 40. Großscheich des Naqschbandi-Ordens, besucht Mitglieder seiner Gemeinde, Lüneburg, ca. 1988.
An den Schulen wurde die islamische Religion mit wachsender Zahl muslimischer Schüler*innen zunehmend zum Thema. War das Leben vieler zugewanderter Muslim*innen und auch deren öffentliche Wahrnehmung lange Jahre auf eine Rückkehr hin und entsprechend auf einen zeitweiligen Aufenthalt eingestellt, so änderte sich dies im Laufe der Jahre. Mit der zweiten Generation und teilweise der Unmöglichkeit einer Rückkehr sowie mit der damaligen Reform des Ausländerrechts (1990) wandelte sich die Perspektive vieler muslimischer Familien mit Migrationshintergrund hin zur dauerhaften Beheimatung. Dies schlug sich institutionell dahingehend nieder, dass die provisorisch eingerichteten Moscheeräume erweitert wurden und große Dachverbände entstanden, die zu Interessenvertretungen und Sprachrohren für religiöse Belange von Muslim*innen wurden. Vermehrt trat der Wunsch nach Anerkennung und Gleichstellung mit etablierten Religionsgemeinschaften auf, und so forderten Vertreter größerer islamischer Gemeinschaften, wie z.B. der türkisch-islamische Verband islamischer Kulturzentren (VIKZ) beispielsweise bereits Ende der 1970er-Jahre die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen.
Vermehrt setzten sie sich für Anerkennung und Gleichstellung mit etablierten Religionsgemeinschaften und so forderten beispielsweise bereits Ende der 1970er-Jahre die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen.
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„Happy End in der Moschee“ titelte die Presse zur Hochzeit des Ehepaars Elenore Irmengard Grundner und Ahmed Mohamed Husain, hier nach der Trauung durch Imam Abdullatif, Hamburg, 1960.
Je größer ihre Gemeinden wurden und je mehr sie mit ihrer Umgebung außerhalb ihrer Arbeits- und Studienplätze in Interaktion traten, zum Beispiel an Schulen, in Sportvereinen oder in der Nachbarschaft, desto stärker versuchten Muslim*innen, ihre Mitmenschen über ihre Kultur und Religion zu informieren . Unter anderem erstellten sie hierzu Faltblätter und kleine Handreichungen zum Islam mit seinen Festen in deutscher Sprache. Über Informationsstände in Innenstädten oder mit Moscheeführungen luden sie zu Gesprächen und zum Kennenlernen ein. Die meisten Moscheevereine waren und sind weiterhin ethno-religiös angelegt, was heißt, dass sie religiöse Aktivitäten in starker Verknüpfung mit der Kultur und mit den Gebräuchen der Herkunftsregionen pflegten.
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Zwei Jungen kurz vor der Beschneidung, Hamburg, 1994, Foto: Rolf Nobel
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Musliminnen vor der Imam Ali-Moschee in Hamburg, Jahreszahl unbekannt
Neben zumeist türkisch-islamischen Gemeinden und– weit seltener–multinationalen Moscheen, traf man zu jener Zeit besonders häufig marokkanische, und seit den 1990er-Jahren verstärkt bosnische, afghanische und verschiedene arabisch geprägte islamische Gemeinden vor Ort an. Einige unter ihnen entwickelten in Teilen ideologische Züge. Manche waren inhaltlich orthodoxer, andere betont spirituell-religiös ausgerichtet, wieder andere boten Raum für verschiedene religiöse Lehrrichtungen und für Menschen unterschiedlicher Sprachen und Ethnien. Einzelnen von ihnen gelang es, sich gegenüber ihrer Umgebung hin zu öffnen, und zwar häufig dann, wenn ihnen hierfür sprachlich versierte und engagierte Gemeindemitglieder zur Verfügung standen. Trotz dieser binnenislamischen Vielfältigkeit setzte sich innerhalb der Bevölkerung und in der öffentlichen Darstellung in den 1990er-Jahren verstärkt der Eindruck von Intransparenz, Parallelgesellschaft und Fundamentalismus durch, wenn von Muslim*innen und islamischen Organisationen die Rede war.
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Kinder von Arbeitsmigrant*innen in Berlin-Kreuzberg, 1974, Foto: Ulrich Weichert
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Infostand einer muslimischen Gemeinde in der Freiburger Innenstadt, 1987, Foto: Marlis Decker,
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Flyer von verschiedenen muslimischen Gemeinden.
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Rosenmontags-Umzug zum Karneval, Duisburg, 1982, Foto: Henning Christoph
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Jahresversammlung der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Groß-Gerau, 1985
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Porträt eines Arbeiters in den OPEL-Werken, Rüsselsheim, 1983, Foto: Mehmet Ünal
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Demonstration von Ahmadis vor der pakistanischen Botschaft in Bonn gegen ihre Verfolgung in Pakistan, 1986
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Tauziehwettbewerb bei einer Versammlung der Jugendorganisation der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Groß-Gerau, 1986
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Die Familie Akyol bei der Ernte in ihrem Kleingarten an der Berliner Mauer, West-Berlin, 1983, Foto: Metin Yilmaz
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Postkarten mit Moschee-Motiven: Şehitlik-Moschee, Berlin, Yavuz Sultan Selim Moschee, Mannheim
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Schüler*innen nach einem Rassismus-Experiment: Eine Gruppe von Schüler*innen hat im Selbstversuch das Kopftuch angelegt um
Diskriminierungserfahrungen nachvollziehen zu können, Köln, 1983
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Ein deutscher Bundespräsident empfängt zum ersten Mal Vertreter*innen muslimischer Organisationen: Roman Herzog trifft Naadem Elyas, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland (2.v.li.), und dessen Stellvertreterin Naciye Akgün (li.), 1995
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Bildnachweis
01 Festgebet in der Schwetzinger Moschee, Foto: Nachlass Abdullah Weißer
02 Gebetswagon, Foto: Wilhelm Hauschild, Haz-Hauschild Archiv, Historisches Museum Hannover
03 Waschung, Gebetswagon, Foto: Wilhelm Hauschild, Haz-Hauschild Archiv, Historisches Museum Hannover
04 Koranrezitation, Foto: Fotograf unbekannt, Archiv des Islamischen Zentrums Hamburg
05 Detailaufnahme, Schwetzinger Moschee, Foto: Roden-Press, MARCHIVUM, ABHR03173-007
06 Studentinnen, Foto: Mahmoud Dabdoub
07 Abdullah Weißer, Hadsch, Nachlass Abdullah Weißer
08 Mitgliedsausweis, Nachlass Abdullah Weißer
09 Studierzimmer, Nachlass Abdullah Weißer
10 Gizeh, Nachlass Abdullah Weißer
11 Freitagsansprache, Nachlass Abdullah Weißer
12 Gruppenfoto am See, Nachlass Abdullah Weißer
13 Moscheebesucher, Nachlass Abdullah Weißer
14 Auszeichnung, Nachlass Abdullah Weißer
15 Abdullah Weißer, Nachlass Abdullah Weißer
16 Moschee Schwetzingen, Foto: moinundsalam.de
17 Moschee Schwetzingen, Foto: moinundsalam.de
18 Abdullatif, Foto: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte
19 Mokkatafel, Foto: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte
20 Freitagsgebet, Foto: Fotograf unbekannt, Archiv des Islamischen Zentrums Hamburg
21 Hamburger Muslime, Foto: Fotograf unbekannt, Archiv des Islamischen Zentrums Hamburg
22 Flughafen, Foto: Fotograf unbekannt, picture alliance
23 Mittagsgebet, Foto: Henning Christoph
24 Kölner Dom, Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung durch das Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) der WWU Münster
25 Schächten, Foto: Henning Christoph
26 Arbeiterinnen, Foto: Repro von Postkarte, moinundsalam.de
27 Iftar, Foto: Marga Kingler, Fotoarchiv Ruhr Museum, bpk
28 Schaufenster, Foto: Guenay Ulutuncok
29 Kirche, Foto: Metin Yilmaz
30 Sprachlabor, Foto: Wilhelm Hauschild, Haz-Hauschild Archiv, Historisches Museum Hannover
31 Untersuchung, Foto: Jean Mohr, Domid Archiv
32 Bergmann, Foto: Guenay Ulutuncok
33 Kantine, Foto: Felicitas Timpe, Bayerische Staatsbibliothek München
34 Unterkünfte, Foto: Bundesarchiv
35 Jubiläum, Foto: Fotograf unbekannt, Stadtarchiv München
36 Eröffnung Nuur-Moschee, Foto: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte
37 Id-Feierlichkeiten, Foto: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte
38 Rohbau, Foto: Fotograf unbekannt, Archiv des Islamischen Zentrums Hamburg
39 Freitagsgebet, Foto: Fotograf unbekannt, Archiv des Islamischen Zentrums Hamburg
40 Gartenarbeit, Foto: Fotograf unbekannt, Privatarchiv El Attar
41 Koranunterricht, Foto: Henning Christoph
42 Freimann Moschee, Foto: Fotograf unbekannt, IISW-Sammlung & Nadeem Collections
43 Umbau Bilal Moschee, Foto: Fotograf unbekannt, Privatarchiv El Attar
44 Islamische Akademie, Foto: Fotograf unbekannt, IISW-Sammlung & Nadeem Collections
45 Schweibenalp, Foto: Sheikh Mohamad Nazim al-Haqqani an-Nakshibendi – saltanat.org/ sufi-zentrum-rabbaniyya.de
46 Freitagsgebet Fazl-e-Omar, Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung
47 Fazl-e-Omar, Foto 1: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte, Foto 2: moinundsalam.de
48 Nuur Moschee, Foto 1: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte, Foto 2: moinundsalam.de
49 Bilal Moschee, Foto 1: Gernot Kramer, Foto 2: moinundsalam.de
50 Imam Ali Moschee, Foto 1: Fotograf unbekannt, Archiv des Islamischen Zentrums Hamburg, Foto 2: moinundsalam.de
51 Freimann Moschee, Foto: Fotograf unbekannt, IISW-Sammlung & Nadeem Collections, Foto 2: moinundsalam.de
52 Lüneburg, Foto: Sheikh Mohamad Nazim al-Haqqani an-Nakshibendi – saltanat.org/ sufi-zentrum-rabbaniyya.de
53 Hochzeit, Foto: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte
54 Beschneidung, Foto: Rolf Nobel
55 Gruppenfoto, Foto: Fotograf unbekannt, Archiv des Islamischen Zentrums Hamburg
56 Kinder, Foto: Ulrich Weichert
57 Infostand, Foto: Marlis Decker, Landesarchiv Baden-Württemberg
58 Flyer, Foto: IISW-Sammlung & Nadeem Collections
59 Karneval, Foto: Henning Christoph
60 Garten, Foto: Metin Yilmaz
61 Jahresversammlung, Foto: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte
62 Porträt, Foto: Mehmet Ünal, bpk-images
63 Demonstration, Foto: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte
64 Tauziehen, Foto: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte
65 Postkarten, Foto: IISW-Sammlung & Nadeem Collections
66 Experiment, Foto: Eichborn Verlag
67 Bundespräsident, Foto: IISW-Sammlung & Nadeem Collections
Danksagungen
Ein besonderer Dank gebührt den Vertreter*innen der Moscheegemeinden, allen voran Aiman El Attar (Bilal-Moschee Aachen), Feride Funda G.-Gençaslan und Abdul Hadi (Sufi Zentrum Rabaniyya/ saltanat.org), Mohammad Ale Hosseini (Islamisches Zentrum Hamburg), Mohammad Luqman und Ilyas Munir (Ahmadiyya Muslim Jamaat), die ihre Archive für das Projekt geöffnet haben, sowie den Mitarbeiter*innen der verschiedenen Sammlungen, die die hier gezeigten Fotografien aufbewahren und zugänglich machen, wie zum Beispiel Nadeem Elyas und das Internationale Islamische Stiftungswerk-Bildung und Kultur. Ein herzlicher Dank sei auch an Thomas Ugé gerichtet, der die Geschichte von Abdullah Weisser erstmals aufbereitet hat und dem die Bildschätze aus dem Leben Weissers zu verdanken sind. Darüber hinaus danke ich Karin Scherrer und Joachim Weisser, die geholfen haben, die Geschichte ihres Vaters Abdullah Weisser zu rekonstruieren. Ein herzliches Dankeschön geht ebenfalls an Wolfgang Schröck-Schmidt für den Zugang zur Schwetzinger Moschee.
Zu danken ist auch den vielen Fotograf*innen, deren Fotografien hier gezeigt werden können; besonders zu nennen sind Guenay Ulutuncok, Henning Christoph, Mahmoud Dabdoub, Metin Yilmaz, Rolf Nobel und Ulrich Weichert. Danken möchte ich auch Muhammad Siddiq, Dr. Sami Elias und dem Vorstand der Eyüp Sultan-Moschee Norderstedt dafür, dass sie ihre Gründungsgeschichten nacherzählt haben. Vielen Dank an Nuran Meydan und das Team des Haus Sandberg für die spannenden Einblicke in die Arbeit mit Senior*innen. Außerdem geht ein herzliches Dankeschön an Prof. Dr. Riem Spielhaus und Prof. Dr. phil. Yasemin Karakaşoğlu für ihre Expertise sowie an Emine Akbaba und Ahmet Aydin für die Übersetzungen aus dem Türkischen.
2021 © moinundsalam.de
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hielten sich nur einige tausend Muslim*innen in Deutschland auf. Was die islamische Religion und Religionsstätten anbelangte, so war das Land ein weitgehend unbestelltes Feld. Die vereinzelt stattfindenden religiösen Vereinsaktivitäten, die es früher gegeben hatte, waren zum Erliegen gekommen. Dieses Kapitel präsentiert exemplarisch Nahaufnahmen aus dieser Phase der allmählichen Entwicklung von Glaubensgemeinschaften verschiedener muslimischer Gruppierungen und zeigt, wie Muslim*innen unter den Bedingungen der Nachkriegszeit bis kurz nach der Wiedervereinigung in Deutschland gelebt haben:
• Wie, von wo und weshalb sind Muslim*innen nach Deutschland gelangt?
• Unter welchen Bedingungen haben Muslim*innen ihre Religion bis in die 1990er-Jahre gelebt?
• Wie haben sich islamische Institutionen, etwa Moscheen und islamische Organisationen, entwickelt?
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Imam Abdullah Weisser leitet das Freitagsgebet in der Schwetzinger Moschee (vermutlich 1957), ein Kunstbau, der ursprünglich nur zu Dekorationszwecken erbaut wurde. Weisser und dessen Gemeinde mieteten das Gebäude für die muslimische religiöse Praxis temporär an.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Islam insbesondere im Zuge von Immigrationsbewegungen nach Deutschland gelangt und hat sich erst seit den 1950er-Jahren gesellschaftlich und institutionell nachhaltig verankern können. Vorher waren zeitweilig Strukturen entstanden, die etwa im Falle der Gemeinschaft der Lahore-Ahmadiyya auch missionarische Züge trugen. Die meisten anderen Vereinigungen dienten hingegen vordergründig der gemeinsamen Pflege der eigenen Religion und des interreligiösen Dialogs. Die gegenwärtige institutionelle Form des Islams beruht allerdings kaum auf der Vergemeinschaftung von Muslim*innen zu jener Zeit, sondern hauptsächlich auf der religiösen Selbstorganisation nachfolgender Immigrant*innen aus verschiedenen Ländern, die bei ihrer Ankunft auch ihre „Religion mit im Gepäck“ (Martin Baumann) hatten.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben zunächst muslimische Kriegsflüchtlinge und Heeresangehörige in Deutschland gelebt. Aus ihrer Mitte ist zum Beispiel im März 1951 die „Religionsgemeinschaft Islam“ mit Hauptsitz in München und Nebenstelle in Nürnberg entstanden, die von einem bosnischen Imam geleitet wurde. Sie hat sich gezielt der religiösen Betreuung muslimischer Flüchtlinge und deren Familien gewidmet, unter anderem aus Kasachstan, Albanien, Usbekistan und vom Balkan.
„Erst nach dem zweiten Weltkrieg haben sich Muslim*innen dauerhaft und in größerer Zahl in Deutschland eingefunden. Mit ihnen sind die Fundamente für eine kontinuierliche bis in die heutige Zeit reichende und damit beständige organisatorische und gesellschaftliche Entfaltung islamischer Religion in Deutschland gelegt worden."
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Muslimische Arbeitsmigranten*innen beten in einem „Gebetswagon“, der von der deutschen Bahn zur Verfügung gestellt wurde, Hannover, 1964, Foto: Wilhelm Hauschild
Weitere Muslim*innen gelangten bald aus unterschiedlichen Regionen, zu verschiedenen Zeiten und aus mannigfaltigen Gründen nach Deutschland. Zu jener Zeit gab es für sie in Deutschland so gut wie keine religiösen Institutionen und die islamische Religion war innerhalb weiter Teile der deutschen Bevölkerung kaum bekannt. Die wenigen Muslime, die in den 1950er- und 1960er-Jahren in Deutschland eintrafen oder lebten, füllten das institutionelle und soziale Vakuum, indem sie sich eigeninitiativ Gelegenheiten und Räume schafften, um religiöse Riten und Praktiken in ihrem Alltag vollziehen und beibehalten zu können. Ihre Aktivitäten konzentrierten sich auf die Sicherung einer Selbstversorgung und die Vermittlung der Lehre an den eigenen Nachwuchs und die Gläubigen; sie dienten nicht der Missionierung.
In den 1950er-Jahren war die Zahl der Muslim*innen in Westdeutschland sehr gering. Sie wurde auf 8.000 Personen geschätzt (Rhein-Neckar Zeitung vom 9. Juni 1954). Zum Ende der 1970er-Jahre war ihre Zahl dann auf rund 1,5 Millionen in der BRD angestiegen. Dies stellte einen großen Zuwachs dar, der sich insbesondere mit der befristeten Anwerbepolitik und der Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte teilweise aus muslimisch geprägten Ländern wie der Türkei oder Marokko erklären lässt.
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Islamische Waschung im „Gebetswagon“ der Deutschen Bahn, Hannover, 1964, Foto: Wilhelm Hauschild
Bis 1988 haben sich mit ihnen in Westdeutschland nach Angaben von Bernhard Priesmeier 894 islamische Gemeinden für die nahezu 1,9 Millionen Muslim*innen ausgebildet. Über drei Viertel der damals hier ansässigen Muslim*innen waren türkischstämmig. Dies erweckte den Eindruck, der Islam sei die Religion der türkischen Gastarbeiter*innen. Daneben hat es jedoch immer Muslim*innen anderer ethnischer Gruppierungen und beispielsweise Studierende und Asylsuchende gegeben sowie die „deutschstämmigen Muslim*innen “, also nicht immigrierte Deutsche islamischen Glaubens. Die Zahl letzterer wurde 1980 auf etwa 1.200 geschätzt.
Angaben zur muslimischen Präsenz in der damaligen DDR sind hingegen kaum verfügbar. In den wenigen Gemeinden, die es gab, kamen vor allem muslimische Studierende und Berufstätige aus den dem damaligen Ostblock zugehörigen Staaten wie Syrien, Algerien oder dem Jemen zusammen.
Die ursprüngliche institutionelle und die im Alltag sichtbare soziale Manifestation der islamischen Religion war besonders durch Migrant*innen und deren religiöse Kulturen geprägt. Doch selbst wenn damals der Anteil an angeworbenen Arbeitskräften (vor allem aus der Türkei) innerhalb der muslimischen Bevölkerung bis Ende der 1990er-Jahre recht hoch war, lässt sich die islamische Gemeinschaft nicht nur auf deren Kreis reduzieren. Der Islam war nie bloß eine „Gastarbeiterreligion“ und islamische Institutionen auch nicht hauptsächlich türkisch.
Neben den vielen muslimischen Arbeitsmigranten*innen hat es engagierte deutsche Konvertit*innen gegeben, die neben den ethnisch geprägten Gebetsstätten von Immigranten-Gruppen deutsch-muslimische Vereinigungen gegründet haben. Einzelne islamische Zentren sind zudem aus dem Zusammenwirken von Muslim*innen verschiedener Herkunft und sozialer Milieus heraus entstanden, unter denen es zahlreiche Akademiker*innen gegeben hat. Später hat sich das muslimische Leben noch weiter ausdifferenziert durch die vielen in Deutschland geborenen und sozialisierten Nachkommen dieser Immigranten.
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Eine Gruppe Hamburger Muslime trifft sich privat zur Koranrezitation, Hamburg, 1952.
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Schuhe von Moscheebesuchern der Schwetzinger Moschee, vermutlich 1957, Foto: Hans Roden
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Arabischstämmige Studentinnen an der Humboldt Universität, Ost-Berlin, DDR, 1985, Foto: Mahmoud Dabdoub
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Imam ohne Moschee: Id-Gebet um das Jahr 1949 im damaligen Wohnsitz von Imam Abdullatif in Hamburg, wo er später die Ahmadiyya- Moscheegemeinde Fazl e-Omar gründete.
Einerseits fehlte es in Deutschland an einer islamischen Infrastruktur, andererseits wollten die zugewanderten Muslim*innen ihre religiöse Praxis nicht aufgeben, sondern aufrechterhalten. Somit nutzten sie die in ihrem Umfeld gegebenen Möglichkeiten, beispielsweise in den Fabriken, ihren Wohnheimen oder unterwegs, um religiöse Akte einzeln oder gemeinsam zu vollziehen.
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Mokkatafel der noch jungen Hamburger Gemeinde im Wohnhaus von Imam Abdullatif. Neben dem Imam (rechts) sitzen die Gemeindemitglieder Herr Dünger und Frau Amina, Hamburg, 1950.
Durch den Zuzug von Muslim*innen (v.a. Gastarbeiter, Flüchtlinge, Studierende und deren Familienangehörige) aus unterschiedlichen Regionen war die muslimische Bevölkerungsgruppe in Deutschland von Beginn an sehr divers, nicht nur was ethnische Hintergründe und Sprachen anbelangt, sondern auch in ihrer religiösen Orientierung und Praxis. Viele kleinere und größere Strömungen der unterschiedlichen Lehrrichtungen des Islams waren in Deutschland vertreten, so die Hauptströmungen des sunnitischen und schiitischen Islams mit einer Varianz an Lehrzweigen und Rechtsschulen. Und auch sehr kleine, aber wirksame Denominationen wie die Ahmadiyya oder das Alevitentum fanden so Einzug ins Land. Daneben gab es noch sehr kleine Sufi-Orden und Bruderschaften von Muslim*innen, die eine betont spirituelle Form des Glaubens praktizierten. Bei dieser theologischen Diversität blieb es nicht. Einige muslimische Gruppierungen orientierten sich teilweise an Akteuren, Bewegungen, oder Institutionen aus ihren jeweiligen Herkunftsländern, wie etwa dem Iran oder der Türkei, und übernahmen deren verschiedene religionspolitische und ideologische Ausrichtungen.
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Eine Gruppe Hamburger Muslime trifft sich zum Freitagsgebet im Garten eines Gemeindemitglieds. Sie gründeten später die Imam Ali Moschee, Hamburg, 1952.
In der Frühzeit des Zuzugs von Muslim*innen kam diese interne Heterogenität institutionell und praktisch noch weniger zum Tragen. Es ging den Menschen vordergründig zunächst darum, sich zu orientieren und das Mindestmaß an individueller und kollektiver Religionsausübung aufrechtzuerhalten. Dabei schafften sie sich im Freien oder im Privaten vereinzelt die Möglichkeit für kleinere glaubenspraktische Handlungen, sei es auf einem Rastplatz mit einem Gebetsteppich das Gebet zu verrichten, eine islamische Eheschließung im Gemeindehaus einer Kirchengemeinde zu vollziehen oder in der Privatwohnung gemeinsam im Koran zu lesen.
Da die meisten zugewanderten Muslim*innen annahmen, ihr Aufenthalt in Deutschland sei lediglich vorübergehender Natur, ging es ihnen zunächst darum, sich provisorisch die Möglichkeit nicht nur der individuellen, sondern auch der gemeinschaftlichen Religionsausübung in der Fremde zu sichern. Dazu trafen sie sich manchmal privat oder fragten in bestehenden Institutionen punktuell Räume an, später mieteten sie sich längerfristiger Wohnungen oder Gebäude und gestalteten sie in einfacher Weise um, sodass sie von innen nach Maßgabe religiöser und sozialer Bedarfe ausgestattet wurden.
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Hamburger Muslime treffen sich im privaten Kreis zum Gebet, Hamburg, 1952
In der damaligen Hauptstadt Bonn boten ihnen manchmal ihre Konsulate oder Botschaften Raum für den Vollzug von Gebeten, Eheschließungen oder Unterstützung im Todesfall. Bekannt sind zudem zahlreiche Fälle, in denen christliche Kirchengemeinden in Deutschland Muslim*innen Räume beispielsweise für religiöse Feste oder den Vollzug von Gebeten überlie.en. Auch übergaben gelegentlich Arbeitgeber*innen oder Universitätsinstitute muslimischen Arbeitnehmer*innen oder Studierenden Räumlichkeiten zum Vollzug religiöser Pflichten. Auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) half gelegentlich muslimischen Familien dabei, Orte für deren kulturelle und damit implizit auch religiöse Aktivitäten zu nutzen.
„Mit der Zeit ist der Islam über die Alltagspraxis muslimischer Gläubiger, ihre gemeinschaftliche Glaubenspflege im Rahmen religiöser Vereine und später als Diskursthema und Gegenstand in öffentlichen Einrichtungen zum festen Teil der gesellschaftlichen Realität in Deutschland geworden."
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Arbeiter während einer Gebetspause am Flughafen Frankfurt, 1965
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1965 stellte der Domkapitel des Kölner Doms muslimischen Gastarbeiter das Nordschiff zum Eid-Gebet zur Verfügung. Ein einmaliger Vorgang der später für heftige Kontroverse in der Kölner Stadtgesellschaft sorgte.
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Mittagsgebet, Gelsenkirchen-Buer, 1982, Foto: Henning Christoph
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Schächten in Vorbereitung auf das Opferfest, Essen-Altendorf, um 1978, Foto: Henning Christoph
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Festakt zur Eröffnung der Nuur-Moschee in Frankfurt am Main, 12. September 1959. Ehrengast ist Sir Zafrullah Khan (Diplomat, ehem. Außenminister Pakistans, Präsident der UNO-Vollversammlung), damals Vizepräsident des Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Ganz links sitzt Abdullatif, der damalige leitende Imam der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Deutschland.
Aus der gewachsenen Zahl an Muslim*innen insbesondere innerhalb größerer Städte Westdeutschlands ergaben sich Gruppenbildungen, die, oft angeleitet durch besonders engagierte Personen, lokale Initiativen zum Aufbau einer religiösen Infrastruktur zur Selbstversorgung ausbildeten. Neben den aus der Bevölkerungsmitte heraus gewachsenen kleineren religiösen Gemeinschaften deutscher Muslim*innen, von Studierenden, Akademiker*innen und Händler*innen sowie von Kriegsflüchtlingen zog besonders die Zuwanderung von angeworbenen Arbeitskräften – den sogenannten Gastarbeiter*innen aus der Türkei, dem damaligen Jugoslawien und aus Nordafrika ab den 1960er Jahren – die Gründung einer Vielzahl an religiösen Vereinen von Muslim*innen mit ähnlichem ethnischen Hintergrund vor Ort nach sich.
Zur gemeinschaftlichen Ausübung ihrer Religion suchten sich Muslim*innen aus ähnlichen sozialen Milieus und derselben Sprachfamilie an unterschiedlichen Orten ihres Lebens kleine Räumlichkeiten, die sie für das gemeinsame Gebet, das soziale Miteinander und den Religionsunterricht nutzten. Mit der Zeit entstanden über Mitgliedsbeiträge und Spenden kleine Vereine zu religiösen und kulturellen Zwecken als Vorläufer für spätere größere Raumanmietungen, später Gebäudeankäufe und dann für Moscheebauprojekte.
„Die frühe islamische Gemeinschaftsbildung geht größtenteils auf die Eigeninitiative verschiedener Immigrantengruppen vor Ort zurück, die über Selbsthilfe ihre religiöse Grundversorgung sichern wollten, sich gegenseitig unterstützten und ihre Heimatkultur miteinander pflegten. Daneben gab es vereinzelt deutsche Vereine und internationale Moscheezentren."
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Weit und breit die einzige Moschee: Gläubige aus ganz Hessen nach dem Ende des Id-Gebets in der Frankfurter Nuur-Moschee. Da die Moschee bald zu klein wurde, leitete der Imam vielfach mehrere Gruppen nacheinander, 1965.
So vorübergehend, wie muslimische Immigrant*innen damals in Deutschland zu leben glaubten – sei es als Studierende, Geflüchtete oder als Gastarbeiter*innen– so einfach und provisorisch waren folglich ihre Gebetsorte bis in die 1990er-Jahre hinein ausgestaltet.
Entsprechend den Möglichkeiten, Bedürfnissen und Interessen der jeweiligen Gründungsgruppen wurden damals die ersten institutionellen Pfeiler für den organisierten Islam in verschiedenen Städten sowie auf dem Land – überwiegend im westlichen Teil Deutschlands – gesetzt, auf denen heute ein vielförmig verästeltes, diverses Vereinsleben von Muslim*innen verschiedener Ethnien und sozialer Milieus entlang tradierter islamischer Strömungen und Lehrausrichtungen beruht.
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Rohbau der Imam Ali Moschee an der Hamburger Außenalster, ca. 1965.
Die ersten größeren Moscheebauprojekte waren ebenfalls der Initiative dieser lokalen Gruppierungen zu verdanken, die damit dauerhaft nutzbare Orte nicht nur punktuell und provisorisch für sich, sondern vorausschauend umfassender für in Deutschland lebende Muslim*innen schaffen wollten.
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Freitagsgebet im Rohbau der Imam Ali Moschee an der Hamburger Außenalster, ca. 1965.
Im weiteren zeitlichen Verlauf schlossen sie sich größtenteils zu umfangreicheren ethnisch-religiösen Verbänden oder, vereinzelt, auch zu multinationalen Dachorganisationen zusammen und differenzierten sich untereinander immer weiter aus. Die meisten bis heute bestehenden größten bundesweiten islamischen Dachverbände wurden aufgrund des Zusammenschlusses einer Mehrzahl an Ortsvereinen in den 1970er- und 1980er-Jahren über die Errichtung einer zentralen Organisationseinheit mit entsprechender Satzung etabliert. Obwohl diese nicht mit den in Deutschland bekannten Kirchenstrukturen vergleichbar waren und sind, sprechen einige Beobachter*innen angesichts der bundesweiten strukturellen Verfestigung der islamischen Religion in Großverbänden von einer „Verkirchlichung des Islams“.
Dennoch erweckte die bottom-up, also von unten heraus, entstandene organisatorische Formation islamischer Religion insgesamt den Eindruck eines intransparenten und fragwürdigen strukturellen „Wildwuchses“. Dazu trugen insbesondere die Ausbreitung religiöspolitischer Orientierungen mit unterschiedlichen Anbindungsformen an ausländische Institutionen oder Gruppierungen einzelner religiöser Verbände bei. Zweifel an deren Loyalität zum Staat und zu seiner Verfassung machten sich daher in der Öffentlichkeit breit und an der Integrationsbereitschaft ihrer Mitglieder kamen bald öffentlich Zweifel auf. Insgesamt blieben der deutschen Gesellschaft der Islam und die Muslim*innen bis in die 1990er-Jahre hinein nicht nur fremd und weitgehend unvertraut, sondern weckten mehr noch als Neugierde eher Ressentiments und Skepsis gegenüber einer immer sichtbarer werdenden Religionsgemeinschaft.
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Famiilen um die Gemeinde der Bilal Moschee Aachen legen selbst Hand an im Garten der Moschee, 1967.
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Koranunterricht in einer Moschee in Gelsenkirchen-Resse, Oktober 1982, Foto: Henning Christoph
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Freitagsgebet in der Freimann Moschee in München, 1979
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Umbau der Bilal Moschee in Aachen, 1978
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Unterrichtsraum in der Islamischen Akademie Friedrichsdorf, 1981
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Sheikh Mohamad Nazim Al-Haqqani, der 40. Großscheich des Naqschbandi-Ordens besucht Deutsche und Schweizer Muslim*innen auf der Schweibenalp (Schweiz), 1980
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Sheikh Mohamad Nazim al-Haqqani, der 40. Großscheich des Naqschbandi-Ordens, besucht Mitglieder seiner Gemeinde, Lüneburg, ca. 1988.
Das alltägliche wie auch das glaubensgemeinschaftliche Leben von Muslim*innen in der deutschen Gesellschaft war von Beginn an in mehrfacher Hinsicht vielfältig gewesen. Muslimische Familien fügten sich in ihre jeweilige Umgebung ein und entwickelten über ihre Begegnungs- und Religionsstätten herum Aktivitäten, die allmählich öffentlich wahrnehmbar wurden. Beispielsweise luden sie Nachbar*innen zu ihren Festen ein oder nahmen selbst an örtlichen Festivitäten wie dem Karneval teil.
An den Schulen wurde die islamische Religion mit wachsender Zahl muslimischer Schüler*innen zunehmend zum Thema. War das Leben vieler zugewanderter Muslim*innen und auch deren öffentliche Wahrnehmung lange Jahre auf eine Rückkehr hin und entsprechend auf einen zeitweiligen Aufenthalt eingestellt, so änderte sich dies im Laufe der Jahre. Mit der zweiten Generation und teilweise der Unmöglichkeit einer Rückkehr sowie mit der damaligen Reform des Ausländerrechts (1990) wandelte sich die Perspektive vieler muslimischer Familien mit Migrationshintergrund hin zur dauerhaften Beheimatung. Dies schlug sich institutionell dahingehend nieder, dass die provisorisch eingerichteten Moscheeräume erweitert wurden und große Dachverbände entstanden, die zu Interessenvertretungen und Sprachrohren für religiöse Belange von Muslim*innen wurden. Vermehrt trat der Wunsch nach Anerkennung und Gleichstellung mit etablierten Religionsgemeinschaften auf, und so forderten Vertreter größerer islamischer Gemeinschaften, wie z.B. der türkisch-islamische Verband islamischer Kulturzentren (VIKZ) beispielsweise bereits Ende der 1970er-Jahre die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen.
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„Happy End in der Moschee“ titelte die Presse zur Hochzeit des Ehepaars Elenore Irmengard Grundner und Ahmed Mohamed Husain, hier nach der Trauung durch Imam Abdullatif, Hamburg, 1960.
Vermehrt setzten sie sich für Anerkennung und Gleichstellung mit etablierten Religionsgemeinschaften und so forderten beispielsweise bereits Ende der 1970er-Jahre die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen.
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Zwei Jungen kurz vor der Beschneidung, Hamburg, 1994, Foto: Rolf Nobel
Je größer ihre Gemeinden wurden und je mehr sie mit ihrer Umgebung außerhalb ihrer Arbeits- und Studienplätze in Interaktion traten, zum Beispiel an Schulen, in Sportvereinen oder in der Nachbarschaft, desto stärker versuchten Muslim*innen, ihre Mitmenschen über ihre Kultur und Religion zu informieren . Unter anderem erstellten sie hierzu Faltblätter und kleine Handreichungen zum Islam mit seinen Festen in deutscher Sprache. Über Informationsstände in Innenstädten oder mit Moscheeführungen luden sie zu Gesprächen und zum Kennenlernen ein. Die meisten Moscheevereine waren und sind weiterhin ethno-religiös angelegt, was heißt, dass sie religiöse Aktivitäten in starker Verknüpfung mit der Kultur und mit den Gebräuchen der Herkunftsregionen pflegten.
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Musliminnen vor der Imam Ali-Moschee in Hamburg, Jahreszahl unbekannt
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Kinder von Arbeitsmigrant*innen in Berlin-Kreuzberg, 1974, Foto: Ulrich Weichert
Neben zumeist türkisch-islamischen Gemeinden und– weit seltener–multinationalen Moscheen, traf man zu jener Zeit besonders häufig marokkanische, und seit den 1990er-Jahren verstärkt bosnische, afghanische und verschiedene arabisch geprägte islamische Gemeinden vor Ort an. Einige unter ihnen entwickelten in Teilen ideologische Züge. Manche waren inhaltlich orthodoxer, andere betont spirituell-religiös ausgerichtet, wieder andere boten Raum für verschiedene religiöse Lehrrichtungen und für Menschen unterschiedlicher Sprachen und Ethnien. Einzelnen von ihnen gelang es, sich gegenüber ihrer Umgebung hin zu öffnen, und zwar häufig dann, wenn ihnen hierfür sprachlich versierte und engagierte Gemeindemitglieder zur Verfügung standen. Trotz dieser binnenislamischen Vielfältigkeit setzte sich innerhalb der Bevölkerung und in der öffentlichen Darstellung in den 1990er-Jahren verstärkt der Eindruck von Intransparenz, Parallelgesellschaft und Fundamentalismus durch, wenn von Muslim*innen und islamischen Organisationen die Rede war.
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Infostand einer muslimischen Gemeinde in der Freiburger Innenstadt, 1987, Foto: Marlis Decker,
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Flyer von verschiedenen muslimischen Gemeinden.
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Rosenmontags-Umzug zum Karneval, Duisburg, 1982, Foto: Henning Christoph
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Jahresversammlung der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Groß-Gerau, 1985
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Porträt eines Arbeiters in den OPEL-Werken, Rüsselsheim, 1983, Foto: Mehmet Ünal
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Demonstration von Ahmadis vor der pakistanischen Botschaft in Bonn gegen ihre Verfolgung in Pakistan, 1986
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Tauziehwettbewerb bei einer Versammlung der Jugendorganisation der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Groß-Gerau, 1986
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Die Familie Akyol bei der Ernte in ihrem Kleingarten an der Berliner Mauer, West-Berlin, 1983, Foto: Metin Yilmaz
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Postkarten mit Moschee-Motiven: Şehitlik-Moschee, Berlin, Yavuz Sultan Selim Moschee, Mannheim
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Schüler*innen nach einem Rassismus-Experiment: Eine Gruppe von Schüler*innen hat im Selbstversuch das Kopftuch angelegt um
Diskriminierungserfahrungen nachvollziehen zu können, Köln, 1983
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Ein deutscher Bundespräsident empfängt zum ersten Mal Vertreter*innen muslimischer Organisationen: Roman Herzog trifft Naadem Elyas, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland (2.v.li.), und dessen Stellvertreterin Naciye Akgün (li.), 1995
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Bildnachweis
01 Festgebet in der Schwetzinger Moschee, Foto: Nachlass Abdullah Weißer
02 Gebetswagon, Foto: Wilhelm Hauschild, Haz-Hauschild Archiv, Historisches Museum Hannover
03 Waschung, Gebetswagon, Foto: Wilhelm Hauschild, Haz-Hauschild Archiv, Historisches Museum Hannover
04 Koranrezitation, Foto: Fotograf unbekannt, Archiv des Islamischen Zentrums Hamburg
05 Detailaufnahme, Schwetzinger Moschee, Foto: Roden-Press, MARCHIVUM, ABHR03173-007
06 Studentinnen, Foto: Mahmoud Dabdoub
07 Abdullah Weißer, Hadsch, Nachlass Abdullah Weißer
08 Mitgliedsausweis, Nachlass Abdullah Weißer
09 Studierzimmer, Nachlass Abdullah Weißer
10 Gizeh, Nachlass Abdullah Weißer
11 Freitagsansprache, Nachlass Abdullah Weißer
12 Gruppenfoto am See, Nachlass Abdullah Weißer
13 Moscheebesucher, Nachlass Abdullah Weißer
14 Auszeichnung, Nachlass Abdullah Weißer
15 Abdullah Weißer, Nachlass Abdullah Weißer
16 Moschee Schwetzingen, Foto: moinundsalam.de
17 Moschee Schwetzingen, Foto: moinundsalam.de
18 Abdullatif, Foto: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte
19 Mokkatafel, Foto: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte
20 Freitagsgebet, Foto: Fotograf unbekannt, Archiv des Islamischen Zentrums Hamburg
21 Hamburger Muslime, Foto: Fotograf unbekannt, Archiv des Islamischen Zentrums Hamburg
22 Flughafen, Foto: Fotograf unbekannt, picture alliance
23 Mittagsgebet, Foto: Henning Christoph
24 Kölner Dom, Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung durch das Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) der WWU Münster
25 Schächten, Foto: Henning Christoph
26 Arbeiterinnen, Foto: Repro von Postkarte, moinundsalam.de
27 Iftar, Foto: Marga Kingler, Fotoarchiv Ruhr Museum, bpk
28 Schaufenster, Foto: Guenay Ulutuncok
29 Kirche, Foto: Metin Yilmaz
30 Sprachlabor, Foto: Wilhelm Hauschild, Haz-Hauschild Archiv, Historisches Museum Hannover
31 Untersuchung, Foto: Jean Mohr, Domid Archiv
32 Bergmann, Foto: Guenay Ulutuncok
33 Kantine, Foto: Felicitas Timpe, Bayerische Staatsbibliothek München
34 Unterkünfte, Foto: Bundesarchiv
35 Jubiläum, Foto: Fotograf unbekannt, Stadtarchiv München
36 Eröffnung Nuur-Moschee, Foto: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte
37 Id-Feierlichkeiten, Foto: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte
38 Rohbau, Foto: Fotograf unbekannt, Archiv des Islamischen Zentrums Hamburg
39 Freitagsgebet, Foto: Fotograf unbekannt, Archiv des Islamischen Zentrums Hamburg
40 Gartenarbeit, Foto: Fotograf unbekannt, Privatarchiv El Attar
41 Koranunterricht, Foto: Henning Christoph
42 Freimann Moschee, Foto: Fotograf unbekannt, IISW-Sammlung & Nadeem Collections
43 Umbau Bilal Moschee, Foto: Fotograf unbekannt, Privatarchiv El Attar
44 Islamische Akademie, Foto: Fotograf unbekannt, IISW-Sammlung & Nadeem Collections
45 Schweibenalp, Foto: Sheikh Mohamad Nazim al-Haqqani an-Nakshibendi – saltanat.org/ sufi-zentrum-rabbaniyya.de
46 Freitagsgebet Fazl-e-Omar, Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung
47 Fazl-e-Omar, Foto 1: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte, Foto 2: moinundsalam.de
48 Nuur Moschee, Foto 1: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte, Foto 2: moinundsalam.de
49 Bilal Moschee, Foto 1: Gernot Kramer, Foto 2: moinundsalam.de
50 Imam Ali Moschee, Foto 1: Fotograf unbekannt, Archiv des Islamischen Zentrums Hamburg, Foto 2: moinundsalam.de
51 Freimann Moschee, Foto: Fotograf unbekannt, IISW-Sammlung & Nadeem Collections, Foto 2: moinundsalam.de
52 Lüneburg, Foto: Sheikh Mohamad Nazim al-Haqqani an-Nakshibendi – saltanat.org/ sufi-zentrum-rabbaniyya.de
53 Hochzeit, Foto: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte
54 Beschneidung, Foto: Rolf Nobel
55 Gruppenfoto, Foto: Fotograf unbekannt, Archiv des Islamischen Zentrums Hamburg
56 Kinder, Foto: Ulrich Weichert
57 Infostand, Foto: Marlis Decker, Landesarchiv Baden-Württemberg
58 Flyer, Foto: IISW-Sammlung & Nadeem Collections
59 Karneval, Foto: Henning Christoph
60 Garten, Foto: Metin Yilmaz
61 Jahresversammlung, Foto: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte
62 Porträt, Foto: Mehmet Ünal, bpk-images
63 Demonstration, Foto: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte
64 Tauziehen, Foto: Fotograf unbekannt, Fotoarchiv Ahmadiyya Muslim Jamaat – Abteilung Geschichte
65 Postkarten, Foto: IISW-Sammlung & Nadeem Collections
66 Experiment, Foto: Eichborn Verlag
67 Bundespräsident, Foto: IISW-Sammlung & Nadeem Collections
Danksagungen
Ein besonderer Dank gebührt den Vertreter*innen der Moscheegemeinden, allen voran Aiman El Attar (Bilal-Moschee Aachen), Mohammad Ale Hosseini (Islamisches Zentrum Hamburg), Mohammad Luqman und Ilyas Munir (Ahmadiyya Muslim Jamaat), die ihre Archive für das Projekt geöffnet haben, sowie den Mitarbeiter*innen der verschiedenen Sammlungen, die die hier gezeigten Fotografien aufbewahren und zugänglich machen. Ein herzlicher Dank sei auch an Thomas Ugé gerichtet, der die Geschichte von Abdullah Weisser erstmals aufbereitet hat und dem die Bildschätze aus dem Leben Weissers zu verdanken sind. Darüber hinaus danke ich Karin Scherrer und Joachim Weisser, die geholfen haben, die Geschichte ihres Vaters Abdullah Weisser zu rekonstruieren. Ein herzliches Dankeschön geht ebenfalls an Wolfgang Schröck-Schmidt für den Zugang zur Schwetzinger Moschee.
Zu danken ist auch den vielen Fotograf*innen, deren Fotografien hier gezeigt werden können; besonders zu nennen sind Guenay Ulutuncok, Henning Christoph, Mahmoud Dabdoub, Metin Yilmaz, Rolf Nobel und Ulrich Weichert. Danken möchte ich auch Muhammad Siddiq, Dr. Sami Elias und dem Vorstand der Eyüp Sultan-Moschee Norderstedt dafür, dass sie ihre Gründungsgeschichten nacherzählt haben. Vielen Dank an Nuran Meydan und das Team des Haus Sandberg für die spannenden Einblicke in die Arbeit mit Senior*innen. Außerdem geht ein herzliches Dankeschön an Prof. Dr. Riem Spielhaus und Prof. Dr. phil. Yasemin Karakaşoğlu für ihre Expertise sowie an Emine Akbaba und Ahmet Aydin für die Übersetzungen aus dem Türkischen.
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