Für 2020 hat die Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zum muslimischen Leben in Deutschland berechnet, dass inzwischen etwa um die 5,3-5,6 Millionen Muslim*innen in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben, was nahezu 6,5% der Gesamtbevölkerung ausmacht. Zwar spielen religiöse Überzeugungen und Praktiken für eine große Zahl unter ihnen eine alltagsprägende Rolle, aber längst nicht für alle und schon gar nicht in einer einförmigen Weise. Mit der jüngsten Flüchtlingsimmigration ist die muslimische Bevölkerung noch bunter, ihre Institutionen sind noch vielförmiger geworden. Vor allem die jüngere Generation bringt sich, u.a. mit religiösen Ideen, rege in das Gesellschaftsleben ein. Einen kleinen Ausschnitt aus verschiedenen Bereichen und Orten muslimischen Alltags heute präsentiert dieses Kapitel und fragt:
• Welche Religionsstätten haben sich etabliert, und wie wird heute islamische Religion gemeinschaftlich gelebt und gelernt?
• Welche religiösen Persönlichkeiten gibt es in der deutschen muslimischen Community?
• Wie hat sich ein auf religiöse Bedürfnisse spezialisierter Markt etabliert, und wie sieht er aus?
Muslim*innen leben ihre Religion in ihrem persönlichen Lebensalltag – wie andere auch – individuell mehr oder weniger aus. Auch wenn nur ein Teil von ihnen regelmäßig in eine Moschee geht, so nehmen doch recht viele während ihres Lebens dort religiöse Dienstleistungen wie Eheschließungen, Bestattungen, Feiertagsgebete und andere in Anspruch. Moscheen bilden nicht nur hierfür, sondern auch für rituelle oder spirituelle Gemeinschaftshandlungen sowie für die Vermittlung der Glaubenslehre den zentralen Ort. Damit stellen sie insgesamt die islamisch-religiöse Infrastruktur sicher. Hinzu kommen kulturelle oder soziale Aktivitäten, die häufig auch im Rahmen von Moscheevereinen stattfinden.
Omar ibn al Khattab-Moschee, Berlin
Wer sich in seiner Stadt nach islamischen Glaubensstätten umschaut, der stößt auf mehr oder weniger als Gebetshäuser erkennbare Orte. Auf dem ersten Blick sehen viele Moscheen unauffällig aus. Kleinere Gebetsorte befinden sich oft in umfunktionierten Lagerhallen, Geschäftsräumen oder gar Wohnungen und sind zumeist nur über die entsprechenden Beschilderungen erkennbar. Es gibt nur verhältnismäßig wenige als Sakralbau erkennbare größere Moscheebauten unter den insgesamt im Jahre 2012 gemäß der Studie zum Islamischen Gemeindeleben in Deutschland auf etwa 2350 geschätzten Moscheen und Cem-Häusern. Aktuell wird deren Gesamtzahl auf nahezu 2800 geschätzt, jedoch ohne gesicherte empirische Grundlage.
Chorprobe des Jugendchors im Islamischen Kulturzentrum der Bosniaken in Berlin.
Große Moscheebauten fallen ähnlich wie Kirchen vor allem durch ihre Türme (Minarette) ins Auge. In ihrem Baustil lehnen sich die meisten von ihnen an die Moscheearchitektur der Herkunftsländer größerer muslimischer Migrant*innengruppen an. Manchen Moscheen liegt ein von ausländischen Modellen losgelöstes modernes architektonisches Konzept zugrunde, und solche, deren Gemeinden multinational zusammengesetzt sind, vereinen in sich gestalterische Formen aus unterschiedlichen Ländern, darunter auch deutsche Stilelemente.
DITIB-Zentralmoschee, Köln. Das von Gottfried und Paul Böhm entworfene Gebäude ist die wohl größte Moschee Deutschlands.
Blickt man in die Gebetsstätten, so gleichen sie sich grundsätzlich in der Innenausstattung. Nahezu alle sind mit Teppichen ausgelegt, und in ihrem Hauptgebetsraum sind eine die Gebetsrichtung (Qibla) anzeigende Gebetsnische (Mihrab) sowie eine Erhöhung zu finden, zu der oft eine kleine Treppe hinführt. Dies ist die Kanzel (Minbar), von der aus die Predigt gehalten wird. Die meisten Moscheen sind in Männer- und Frauenbereiche unterteilt, und es finden sich nahe der Gebetsbereiche spezielle Waschräume. Der Gebetsruf (Adhan, von arab. aḏān) ist zu den Gebetszeiten innerhalb der verschiedenen islamischen Gebetsstätten mit unterschiedlicher Melodik zu hören.
Auch was ihr Innenleben angeht, weisen Moscheen unterschiedlicher Gruppen und Lehrausrichtungen in Deutschland viele Gemeinsamkeiten auf. Die Gebetsform ist in ihren Grundabläufen gleich, das fünfmalige rituelle Gebet findet dort gemeinschaftlich statt. Zum Freitagsgebet versammeln sich die Gläubigen, ganz überwiegend Männer, da dieses Gebet für sie nach nahezu allen Lehrrichtungen – anders als für Frauen - verpflichtend ist. Es findet zur Mittagszeit statt und enthält eine Predigt. Im Fastenmonat Ramadan kommen in fast allen Moscheen die Gläubigen zu den Nachtgebeten zusammen, und es finden darüber hinaus besondere Angebote statt. Eheschließungen werden in den Moscheen von einem religiösen Leiter (Imam) vorgenommen. Das sind nur einige festgefügte Aktivitäten, die in den allermeisten islamischen Glaubensstätten zu finden sind.
Nach Angaben der Studie zum islamischen Gemeindeleben von 2012 sind die meisten Moscheen und Cem-Häuser vor dem Jahrtausendwechsel gegründet worden, 53 % von ihnen sogar bis Ende der 1980er Jahre, und sind somit schon seit Jahrzehnten Teil des kommunalen Lebens in Deutschland.
Gebetsruf (Adhan) auf dem Dach der Abu Bakr-Moschee Frankfurt. Aufgrund der Corona-Einschränkungen durften einige Moscheegemeinden den Gebetsruf öffentlich ausrufen.
© Dr. Raida Chbib für moinundsalam.de
Das gemeinschaftliche Leben von Muslim*innen in Deutschland findet zwar im Wesentlichen, aber doch nicht ausschließlich in Moscheen statt. Es hat sich in den zurückliegenden Jahren in vielfältige Vereine und Aktivitäten aufgefächert. Um zu veranschaulichen, wie sich Muslim*innen hierzulande über ihre Religionsstätten hinaus vergemeinschaftet haben, lassen sich ihre Aktivitäten grob in die Bereiche primär-religiös und sekundär-religiös unterteilen.
Damit sind diejenigen Gruppen oder Institutionen gemeint, deren Hauptzweck und Schwerpunkt der Aktivitäten auf der Glaubenspflege liegt.
Zusammengenommen sind es die Vereine oder Gruppen von Muslim*innen, in denen rituelle, spirituelle der glaubensvermittelnde Sozialhandlungen (wie Freitags- und Festgebete, Koranunterricht etc.) im Vordergrund stehen und von dafür ausgewiesenen Personen, oft hauptamtliches Religionspersonal, geleitet werden. Die wichtigsten Einrichtungen darunter sind die Moscheegemeinden, in denen das religiöse Angebot breit aufgefächert ist. Daneben gibt es aber auch Institutionen, die nicht den Anspruch haben, die religiöse Infrastruktur so weit wie möglich bereitzustellen, sondern die spezialisiert sind auf bestimmte Angebote zur Glaubenspflege. Dies kann eine spirituelle Lehre sein, die etwa im Rahmen einer Sufi-Gruppe praktiziert wird, oder ein kleiner Bildungsverein, in dem bestimmte religiöse Kurse angeboten werden.
Ashura in der Hasrate Mohammad-Moschee in Hannover. Zu Ashura zelebrieren schiitische Muslime das zeremonielle Brust-Schlagen (Matam) als Trauerzeremonie in Erinnerung an den Tod des dritten Imams der Schiiten, Husain ibn Ali, Enkelsohn des islamischen Propheten Mohammad.
Damit sind solche Gruppen und Vereine von Muslim*innen gemeint, deren Schwerpunkt auf nicht-religiöse Aktivitäten liegt.
Muslim*innen gründen darüber hinaus Vereine und Gruppen zu verschiedenen Zwecken wie Sport, Umweltschutz oder Kunst, in denen islamisch-religiöse Vorstellungen zwar zum Tragen kommen, aber wo die Gläubigen sich nicht vordergründig zum Gebet oder zur Religionslehre treffen. Im sportlichen Bereich haben sich etwa muslimische Schwimm- und Sportvereine gegründet, und ein weiteres Feld bilden auch die Familien- und Jugendarbeit oder – an der Schnittstelle zu Medien und Öffentlichkeit – die Bildungsinitiativen und Dialoggruppen.
Das islamische Religionsfeld ist durch diese Entwicklung vielerlei Aktivitäten von Muslim*innen außerhalb von Moscheen sehr divers geworden. Zahlreiche Vereine, Gruppen oder Netzwerke von Muslim*innen zu verschiedenen Zwecken oder mit Schwerpunkt auf bestimmte Zielgruppen (Frauen, Künstler*innen, Jugendliche, Umweltaktivist*innen etc.) haben sich im Laufe der Zeit ausgebildet, die das allgemeine zivilgesellschaftliche Leben bereichern.
Dhikr-Meditation in der Moschee von ‚Sufiland‘ am Bodensee. Unter Dhikr bzw. Dhikr Allah versteht man eine meditative Übung zur Vergegenwärtigung Gottes.
Ein Großteil der Moscheegemeinden organisiert sich mit den ihnen angeschlossenen Vereinen darüber hinaus in einer Vielzahl islamischer Dachverbände, die zumeist jeweils von einer ethischen Gruppe geprägt sind, sogenannte ethno-religiöse Islamverbände. Bundesweit organisierte islamische Dachverbände sind seit den 1970er Jahren zumeist als organisatorische Klammer für die Ortsgemeinden ähnlicher religionspolitischer und lehrbezogener Ausrichtung und ethnischer Zusammensetzung entstanden.
Das heißt, es existieren mehrere islamische Organisationen vor allem türkisch-, albanisch- oder bosnischstämmiger Muslime nebeneinander, die sich aufgrund einer bestimmten Lehrrichtung und manchmal auch ideologisch zusammenschlossen. Es gibt im Grunde innerhalb der dem Islam zugerechneten Strömungen Sunna, Schia sowie der sufisch geprägten Glaubensformen, keine einheitliche Organisationseinheit, die alle religiösen Gruppierungen dieser Glaubensströmungen zusammenhält und repräsentiert. Innerhalb der Ahmadiyya sind hingegen die allermeisten Gemeinden in der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland (AMJ) organisiert, auch Alevitische Gemeinschaften hierzulande haben sich größtenteils zumeist dem größten bestehenden Dachverband angeschlossen.
Gebetsnische (Mihrab) in der Bosnischen Moschee, Wiesbaden. In jeder Moschee findet sich eine Gebetsnische, die die Gebetsrichtung anzeigt.
Zu den frühesten und mitgliederstärksten Dachverbänden im sunnitischen Spektrum zählt die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), die 1984 gegründet wurde und nach eigenen Angaben etwa 960 lokale Moscheevereine zusammenhält. Sie hängt mit der türkischen staatlichen Religionsbehörde zusammen.
Gebetsruf in der Saray Camii in Köln
Auch die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş̧ (IGMG) ist türkisch-sunnitisch geprägt und wurde 1985 ins Leben gerufen. Mittlerweile ordnen sich ihr nahezu 320 Moscheegemeinden zu. Sie ist lange Zeit mit der gleichnamigen Bewegung (deutsch: ‚Nationale Weltsicht‘) verschränkt gewesen und deswegen vom Verfassungsschutz beobachtet worden; in mehreren Bundesländern wurde ihre Beobachtung mittlerweile eingestellt.
Imam und Bestatter Salih Güler bei einer Bestattung auf dem Münchner Südfriedhof. Bis Anfang 2021 galt in Bayern die Sargpflicht, eine traditionell-islamische Tuchbestattung war bis dahin nicht möglich.
Ähnlich viele Moscheegemeinden organisieren sich im türkisch-islamischen Verband islamischer Kulturzentren (VIKZ), der seit 1973 besteht und dessen Mitglieder sich stark nach dem Gelehrten Süleyman Hilmi Tunahan richten.
Neben diesen und weiteren türkisch-islamischen Dachverbänden gibt es noch einen bosnisch-islamischen, einen albanisch-islamischen und zwei marokkanisch-islamische Dachverbände, die im sunnitisch-islamischen Spektrum den Großteil der religiösen Infrastruktur bereitstellen.
Nachtgebet in der Arresalah-Moschee in Berlin
Demgegenüber findet sich im schiitisch-islamischen Spektrum neben einzelnen unabhängigen Lokalmoscheen nur ein Dachverband, nämlich die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden (IGS), die im Jahr 2009 gegründet wurde und mittlerweile nahezu 180 schiitisch-islamische Vereine unterschiedlicher ethnischer Gruppierungen in Deutschland verbindet.
Der Sufismus ist ein Bereich im Islam, der sich zumeist über kleine Gruppen organisiert, die einen spirituellen Weg zur Gotteserkenntnis gewählt haben. Einen größeren Dachverband gibt es hier nicht, sondern nur lokale Sufigemeinschaften.
Imam Benjamin Idriz streamt seine Freitagspredigt in der leeren Moschee: Im ersten Corona-Lockdown waren alle Gebetsstätten bundesweit geschlossen.
Zu den am längsten bestehenden Verbänden von Glaubensgruppen, die nach ihrem Selbstverständnis für ein sogenanntes progressives oder liberales Islamverständnis stehen, gehört der Liberal-Islamische Bund (LIB), der 2010 gegründet wurde. Zurzeit vertritt er Gemeinden in fünf deutschen Städten.
Vor der Corona-Pandemie konnte die Waschung noch gemeinsam durchgeführt werden, wie hier in der Omar ibn Al Khattab-Moschee in Berlin.
Innerhalb der Ahmadiyya-Bewegung finden sich kaum dachverbandslose Gemeinden, fast alle gehören einem Dachverband an, der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland (AMJ), die sich der 1889 in Südasien entstandenen Ahmadiyya-Bewegung (Qadiani-Richtung) zurechnet. Seit 2013 ist sie in Hessen sowie in Hamburg als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) anerkannt und umfasst etwa 380 kleinere und größere Gemeinden.
Gebet mit Abstand: Aufgrund der Pandemie konnten viel wenigerMenschen an Gebeten teilnehmen, da die Mindestabstände eingehalten werden müssen.
Das Alevitentum wird hauptsächlich durch die Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF) in Deutschland organisiert, die 1989 gegründet wurde. Es ist erstmals 1978 in Form einer Gemeinde mit der Gründung eines Vereins in Berlin in Erscheinung getreten. Aleviten orientieren sich nach den Lehren des Hünkar Bektaş Veli (13. Jahrhundert) und versammeln sich dazu in etwa 150 Versammlungsstätten (Cemevis).
Während der Freitagspredigt in der Afghanischen Moschee in Berlin-Reinickendorf
Die muslimische Bevölkerung in Deutschland ist in vielerlei Hinsicht heterogen, unter anderem in religiösen Belangen. Letzteres ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass inzwischen über lange Zeit viele Muslime mit unterschiedlichen Motiven und aus verschiedenen Weltregionen hierher immigriert sind. Alle haben sie ihre kulturell geprägten Glaubenstraditionen mitgebracht.
Unter muslimischen Glaubensanhängern bildet die türkischstämmige Bevölkerung mit etwa 45 % die größte Anteilsgruppe, gefolgt von 27 % der Muslim*innen, die aus verschiedenen arabisch geprägten Ländern des Nahen Ostens (19 %) oder Nordafrikas (8 %) stammen. Ein Anteil von 19 % stammt aus südosteuropäischen Ländern (Stand 2019). Nicht zu vergessen sind deutsche Muslim*innen ohne Migrationshintergrund oder auch Nachkommen der immigrierten Generation, die ausschließlich in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt hatten. Die Hälfte aller Muslim*innen in Deutschland (ca. 47 %) sind deutsche Staatsangehörige. Mit der unterschiedlichen Herkunft der Familien und der jeweiligen Sozialisation der Muslim*innen gehen verschiedene Ausprägungen der Religiosität einher.
Mit der Immigration von Muslim*innen sind alle größeren Glaubensströmungen und Lehrrichtungen des Islams mittlerweile in Deutschland vertreten.
Mit einem Anteil von etwa 75 % bilden die Anhänger der Sunna die größte Gruppe. Sie erkennen die Legitimität der Nachfolge aller dem Propheten Muhammad nachfolgenden vier Kalifen an. Neben dem Koran bilden ausschließlich die Überlieferungen des Propheten die maßgeblichen Quellen ihrer Glaubenslehre und ‑praxis. Vier Rechtsschulen haben sich im klassischen sunnitischen Islam ausgebildet, sowie im Laufe der Geschichte eine Vielzahl an Lehrrichtungen, Institutionen oder Bewegungen mit eigenen Autoritäten. Etwa 7 % der Muslim*innen sind hierzulande Schiiten. Sie erkennen nur den vierten Kalifen Ali als legitimen Nachfolger des Propheten an. Entsprechend bildet die Imamatslehre einen wesentlichen Bestandteil ihres Glaubens.
Ein sehr kleiner Anteil von unter einem Prozent der Muslim*innen zählt sich den Sufi-Gruppen zu, die spezifische Wege zur Annäherung an Gott etabliert haben. Neben einem geistig-intellektuellen Pfad des Gottgedenkens bilden sie über emotional-expressive Formen wie Gesang und Tanz verschiedene Praktiken aus, die von entsprechenden Meistern angeleitet werden.
Aus der sunnitischen und schiitischen Lehre haben sich im Laufe der Geschichte zudem selbstständige Gemeinschaften mit eigenen Glaubenssystemen und Traditionen entwickelt, die sich selbst mehr (Ahmadiyya), nur zum Teil (Aleviten) oder weniger bis gar nicht mehr (z. B. Drusen) als islamische Richtungen verstehen. Davon sind in Deutschland besonders das Alevitentum mit einem 12,7 % und die Ahmadiyya mit 1,7 % verbreitet (Stand 2008).
Nicht nur die Glaubensrichtung prägt die Weise, wie Muslim*innen hierzulande ihren Glauben ausleben. Sie unterscheiden sich auch im Grad der Religiosität, also darin, wie stark alltagsleitend ihr Glaube für sie jeweils ist. Darüber hinaus kann es Unterschiede darin geben, welchen Glaubensbestandteilen sie jeweils für sich Bedeutung zumessen. Dazu gehören praktisch-rituelle Vorschriften zum Beten oder Fasten und ethisch-moralische wie Ehrlichkeit und Fleiß. Auch gibt es unterschiedliche Herangehensweisen, die Religion in Bezug auf die sie umgebende Gesellschaft sowie auf die Kultur der jeweiligen Herkunftsregion zu verorten. So verstehen und positionieren sich einige als „deutsche Muslim*innen“, während andere sich als eine Art kulturell-religiöse Gemeinschaft bosnischer, pakistanischer oder türkischer Muslim*innen begreifen.
Glaubensströmungen und Glaubensvielfalt
Dr. Souheil Thabti — Vielfalt als Segen
Glaubensströmungen und Glaubensvielfalt
Prof. Dr. Werner Schiffauer — muslimische Vielfalt in Deutschland
Glaubensströmungen und Glaubensvielfalt
Die Vermittlung und Pflege des Wissens um die eigene Religion gehört bei Muslimen in Deutschland, wie auch bei anderen Religionsgruppen, zu den wichtigsten Triebkräften und Pfeilern der Vergemeinschaftung und Ausbildung von Institutionen. Sie halten die Glaubensgemeinschaften lebendig und beständig. Das religiöse Wissen wird also zuvörderst innerhalb unterschiedlicher Moscheegemeinden und weiteren muslimischen Gruppierungen und Institutionen bereitgestellt und vermittelt. Aber dies geschieht nicht nur dort, sondern seit einigen Jahren auch im Bereich staatlicher Institutionen: So wird vereinzelt in manchen Bundesländern seit einiger Zeit islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen unterrichtet. Ähnlich wie der katholische Religionsunterricht ist er bekenntnisgebunden, in manchen Bundesländern findet er aber auch in Form religiöser Unterweisung statt. Zudem wurde an deutschen Universitäten seit 2010 der Studiengang Islamtheologische Studien etabliert.
Porträt von Sheikh Hassan Dyck aus der Osmanischen Herberge in der Eifel. Hassan Dyck gehört der Tariqa Naqschbandiyya an, ein Sufi-Orden, der im 14. Jahrhundert in Zentralasien entstand.
In den Moscheegemeinden findet die religiöse Wissensvermittlung in unterschiedlicher Form statt: Meist adressieren religiöse Bildungsangebote unterschiedliche Untergruppen der Gemeinden und finden in verschiedenen ‚Abteilungen‘ statt.
Neben übergreifenden Predigten wie der Freitagspredigt, mit der sich der Imam an alle Moscheebesucher richtet, gibt es spezielle Unterrichtseinheiten für Männer, eigene für Frauen, auch welche für Kinder und manche für Senioren. So erhalten Frauen eine auf sie zugeschnittene, meist auch von Lehrerinnen oder Leiterinnen vermittelte religiöse Bildung, während Kinder und Jugendliche in ihren eigenen Gruppen lernen.
Imamausbildung in der ‚Jamia‘, der Imamausbildungsstätte der Glaubensgruppe der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Riedstadt. Seit 2008 werden dort Imame ausgebildet.
Besonders für die religiöse Wissensvermittlung an Jungen und Männer spielt der Imam bzw. Hoca einer Moschee eine wichtige Rolle. Zu den religiösen Bildungsangeboten, die gemäß der Studie zu Strukturen und Angeboten der Gemeinden islamischer Organisationen in Deutschland (2012) in 95 % der befragten Gemeinden den Moscheebesucher*innen bereitgestellt werden, gehören Korankurse und Islamunterricht für Kinder und Jugendliche.
Das Predigen insbesondere im Rahmen der Freitagsgebete als feste rituelle Form der religiösen Wissensvermittlung gehört zu den grundlegenden Aktivitäten nahezu aller sunnitischen und schiitischen Imame. Hinzu kommen sogenannte religiöse Gesprächskreise für Erwachsene oder andere Kurse zur Unterweisung in religiösen Fragen, welche von zwei Dritteln des befragten Religionspersonals mindestens eine Stunde pro Woche regelmäßig in Moscheen durchgeführt werden.
Kinder nach dem Unterricht in der Imam Cafer Sadik-Moschee in Berlin Wedding.
Frauen bilden indessen innerhalb von Moscheegemeinden eigene Bildungsformen und Strukturen autonom aus. Diese Aktivitäten werden von entsprechenden Lehrerinnen in nach Geschlechtern getrennten Räumen geleitet und nach ihren eigenen Vorstellungen, aber doch in Orientierung an der in der Gemeinde vorherrschenden Lehre gestaltet.
Vorlesung bei Prof. Dr. Ömer Özsoy im Studiengang Islamische Theologie an der Goethe Universität Frankfurt
Die religiöse Wissensvermittlung ist innerhalb einer multiethnischen mehrsprachigen Moschee schwieriger zu organisieren und umzusetzen als etwa in einer monoethnischen Gemeinde türkischstämmiger Muslime. Während in weitgehend homogenen Gemeinden spezifische religiöse Lehrrichtungen gepflegt werden, bleiben die plural verfassten Moscheen in ihrer religiösen Ausrichtung weitgehend diffus.
Sie sind vom religiösen Selbstverständnis und der darauf beruhenden Gemeinschaftsvorstellung her inklusiv ausgerichtet, indem sie Muslim*innen unterschiedlicher Ethnien, Sprachen und Glaubensrichtungen gleichermaßen einbinden.
Gemeinsames Koranlesen während des Ramadan in der Şehitlik-Moschee in Berlin
Außerhalb von Moscheen versammeln sich Muslim*innen auch manchmal in verschiedenen Formen zur Pflege von Spiritualität (z. B. Sufi-Gruppen) oder religiöser Bildung (z. B. deutschsprachige Korankreise, private Frauengruppen) in islamischen Gruppennetzwerken oder -bewegungen. Nicht immer sind diese als Verein eingetragen. Auch die sogenannten salafitischen Prediger-Bewegungen bleiben oftmals ohne feste räumliche Struktur und stellen ihre Wissensangebote digital bereit.
Islamischer Religionsunterricht an einer Gesamtschule in Ronnenberg bei Hannover
Anesa Ganic, Nadina Memagic und Ismar Nesiren haben den ‚Rahatnook‘ entwickelt, ein nachhaltig und hochwertig produzierter Gebetsteppich.
Teilweise verfestigen sich Initiativen von Muslimen zum Aufbau muslimischer Bildungseinrichtungen jenseits etablierter Moscheen und islamischer Dachverbände zu beständigen Bildungsinstitutionen.
Imam Enes Cergel in der Şehitlik-Moschee, Berlin
Ältere Beispiele hierfür sind etwa das damalige Zentrum für islamische Frauenforschung und Frauenförderung (ZIF), das aus einem runden Tisch bestehend aus muslimischen Studentinnen, Pädagoginnen und Islamwissenschaftlerinnen Mitte der 1990er Jahre zur Situation muslimischer Frauen in Deutschland hervorging. Ausgehend von der gemeinsamen Feststellung eines Bedarfs an einer islamischen Grundlagenforschung aus weiblicher Sicht nahmen sie ihre Arbeit auf. Die Muslimische Akademie Heidelberg ist ein jüngeres Beispiel der Bereitstellung von Bildungsangeboten durch Muslim*innen, das über das rein religiöse Angebot hinausgeht.
Austausch der beiden Imame der Şehitlik-Moschee in Berlin
Freitagspredigt (Khutba) mit Imam Tahar Sabri in der Neuköllner Begegnungsstätte, Berlin
Gemeinsames Gebet nach dem Unterricht in der Albanischen Moschee, Hamburg
Unterricht in der Eyüb Sultan-Moschee in Frankfurt
Laut einer aktuellen repräsentativen Studie aus dem Jahr 2020 ist die Einhaltung von Getränke- und Speisevorschriften für nahezu 77 % der befragten Sunniten, für 60 % der Schiiten und für fast 83 % der Ahmadiyya-Anhänger*innen wichtig. Dazu gehören Speisevorschriften, die unter anderem den Konsum von Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs betreffen und insbesondere, aber nicht nur, den Verzehr von Verendetem, von Blut oder Schweinefleisch verbieten. Im Bereich der Getränke wirkt sich das Verbot des Genusses von Rauschmitteln besonders markant auf das Konsumverhalten von Muslim*innen aus, die sich an die koranischen Speise- und Getränkemaßgaben halten.
Mit der wachsenden muslimischen Bevölkerung in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ein ‚ethnischer Einzelhandel‘ entwickelt, der ein Sortiment anbietet, das nicht nur den kulturell aus dem Herkunftsland gewohnten Speisevorlieben Rechnung trägt und entsprechende Waren anbietet. Auch dem Bedürfnis der Einhaltung religiöser Speisevorschriften kommt das Sortiment entgegen, indem es Lebensmittel anbietet, die als helal/halal (also ‚erlaubt, zulässig‘) gekennzeichnet werden. Damit wird signalisiert, dass bei der Erzeugung islamische Vorschriften eingehalten wurden.
Die Berücksichtigung der islamischen Speisevorschriften in der Herstellung von Nahrungsmitteln wird mittlerweile durch Zertifikate bestätigt, die von internationalen oder nationalen Zertifizierungsstellen oder von islamischen Gemeinschaften im Land vergeben werden. Als halal zertifizierte Waren findet man mittlerweile auch im etablierten Einzelhandel.
Der zu Beginn auf den Lebensmittelbereich konzentrierte halal-Markt hat sich in den vergangenen Jahren in Deutschland und den Nachbarländern auf viele zusätzliche Bereiche ausgedehnt. Im Wirtschaftsbereich werden hierzulande zunehmend weitere sogenannte halal-Produkte, auch im Textilbereich oder bei Halal-Dienstleistungen (Halal-Reisen) angeboten. Im weiteren Sinne sind damit sämtliche Angebote gemeint, die im Einklang mit islamischen Ge- und Verboten stehen.
Halal-Süßwaren bei Halalicous in Berlin
Halal-Markt
Halal-konformes Make-Up im Showroom der Marke Beautylope
Mahmoud Tartari, Geschäftsführer von Halal-Control, eines der größten Unternehmen für Halal-Zertifizierung
Halal-Markt
Metzgermeister Mehdi, in der Halal-Schlachterei Piepmeier bei Bremen
Nadia Doukali ist Erfinderin des Iftarlender, ein Ramadan-Kalender mit Halal-Schokolade.
Halal-Markt
Kemal Calik ist Chefredakteur der Website Halal-Welt, eine Online-Plattform rund um das Thema halal.
Dr. Asmaa El Maaroufi — Halal
Innerhalb muslimischer Gemeinschaften und Vereine in Deutschland gibt es einzelne Personen, die sich in verschieden Bereichen durch besonderes soziales Engagement, innovative Ideen oder intellektuelle Ansätze hervorheben. Sie haben sich damit in ihrem lokalen Kreis oder auch darüber hinaus verdient gemacht und sind so innerhalb ihrer Gruppen zu geschätzten Personen und manchmal auch zu Vorbildern geworden. Und selbst wo ihr Engagement auf ihren Bereich und ihre Zielgruppen begrenzt ist, tragen sie doch zum gesellschaftlichen Wohlergehen mit bei.
Dr. Silvia Horsch studierte Germanistik und Arabistik. Sie gründete die Islam-Infoplattform al-sakina.de und ist Mitbegründerin der Initiative Nafisa, in der muslimische Wissenschaftlerinnen Fragen rund um die Themen Islam, Frau und Gesellschaft behandeln und auch schwierige innerislamische Themen wie spirituellen Missbrauch ansprechen. Nach einigen Jahren am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück arbeitet sie derzeit als Lehrerin für Islamische Religion am Gymnasium Ursulaschule in Osnabrück. Auf Instagram bloggt sie zum Islamischen Religionsunterricht und übersetzt Gedichte.
Manche von ihnen werden mit ihren Beiträgen in ihrer jeweiligen Kommune oder Stadtgesellschaft bekannt und wirken so über ihren Verein hinaus gesellschaftlich mit. Diese Menschen werden dann auch außerhalb ihrer Gemeinden als Expert*innen und engagierte Bürger*innen wahrgenommen. So ist beispielsweise in Wuppertal Mohamed Abodahab, Vorstandsmitglied der Islamischen Gemeinde Wuppertal, 2010 mit der Wuppertaler Medaille für seinen langjährigen Einsatz ausgezeichnet worden. Er hatte sich in seiner vielfältigen ehrenamtlichen Arbeit für die aktive Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund am gesellschaftlichen Leben sowie für den interreligiösen Dialog eingesetzt und den Trägerverein muslimischer Friedhöfe Wuppertal mitgegründet.
Imam Talha Taskinsoy ist studierter Pädagoge und Theologe. Mit seiner Arbeit widmet er sich unter anderem Schwerpunkten wie Tierethik, Veganismus, Gender oder auch dem Islam in und aus Afrika, Themen, die er sowohl online als auch offline behandelt, wie hier im Bild in der African Muslims Association in Frankfurt am Main.
Bashir Ahmad Dultz, der sich als Vorsitzender der Deutschen Muslim-Liga jahrzehntelang für ein friedliches Miteinander der Religionen eingesetzt hat, ist 2008 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Die Gründerin des ersten anerkannten muslimischen Bildungswerks für Frauen in Deutschland – das Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen in Köln – Dr. Erika Theißen erhielt ebenfalls 2011 für ihr unermüdliches Engagement für gesellschaftlichen Frieden und die Teilhabe von Minderheitengruppen das Bundesverdienstkreuz.
Prof. Dr. Tuba Işık studierte Rechtswissenschaften und Pädagogik in Göttingen. 2009 hat sie das Aktionsbündnis muslimischer Frauen mitgegründet und war bis 2016 dessen Vorstandsvorsitzende. 2015 bis 2019 hat sie mit der Arbeit „Die Kultivierung des Selbst“ am Seminar für Islamische Theologie in Paderborn habilitiert. Zum Wintersemster 2020/21 wurde sie als Professorin für Islamische Religionspädagogik und Praktische Theologie an die Humboldt Universität Berlin berufen.
Exemplarisch stehen sie und viele andere muslimische Bürger*innen, denen eine Ehrung zuteilwurde, für die oftmals wenig sichtbare, aber wichtige ehrenamtliche Arbeit von Muslim*innen im Land, die Menschen in Not unterstützen und einen Beitrag für gesellschaftliches Wohl und den Frieden leisten.
Imam Mounib Doukali in der El Iman-Moschee in Hamburg Harburg. Doukali hat eine Imamausbildung in Tunesien abgeschlossen, er ist Absolvent der Islamischen Theologie an der Universität Osnabrück und zählt zu einer jungen Generation von Imamen, die ihr Theologie-Studium in Deutschland absolviert haben. Neben der El Iman-Moschee ist er Beauftragter für den interreligiösen Dialog und koordiniert die Seelsorge für die Schura Hamburg.
Die Politikwissenschaftlerin Pinar Cetin ist Mitbegründerin und Vorstandsvorsitzende der Deutschen Islam Akademie in Berlin. Die Akademie möchte neue Wege im Dialog von Muslim*innen mit Angehörigen anderer Religionen und Weltanschauungen gehen.
Almasa Özkan studiert Islamische Studien im Master und arbeitet als Betreuerin von muslimischen Inhaftierten im Frauen-Vollzug. In der Bosnischen Moschee in Wiesbaden gestaltet sie den Islamischen Religionsunterricht gemeinsam mit Imam Fahrudin Dzinic.
Maged Ibrahim ist Islamwissenschaftler und Student der Islamischen Theologie. In Berlin leitet er den Jugendbereich des Arresalah-Zentrums, den er 2020 gegründet hat. Neben seiner Tätigkeit als deutschsprachiger Imam in der Gemeinde thematisiert er theologische Themen auf Social Media (www.instagram.com/al.berlini). Für Moinundsalam.de visualisiert er das rituelle islamische Gebet.
Der islamische Theologe Dr. Ali Özdil gründete das Islamische Wissenschafts- und Bildungsinstitut e.V., eine theologisch-pädagogische Bildungseinrichtung, die Beratung, Fort- und Weiterbildungen für alle Gruppen mit Kontakt zu Muslim*innen anbietet. Sein Schwerpunkt liegt auf Kultur- und Religionssensibilität. Er schult vor allem medizinisches Personal in diesem Bereich.
Anfänge des jüdisch-muslimischen Dialogs in Deutschland lassen sich nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst auf Initiativen der Kirchen zurückführen. Damit spielte die Kirche eine zentrale Rolle in der Ermöglichung des interreligiösen Austauschs, auch zwischen Muslim*innen und Jüd*innen, die sich zunächst im Rahmen der Trialogezwischen den Abrahamitischen Religionen trafen. Später sind solche Trialoge auch außerhalb der Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften durchgeführt worden, wie das 2014 von Studierenden der drei Religionen initiierte Café Abraham. Mittlerweile initiieren Jüd*innen und Muslim*innen selbst ihren gemeinsamen Austausch und gestalten ihn miteinander aus.
Gemeinsam ist den beiden Religionsgemeinschaften, dass sie zu den religiösen Minderheiten in Deutschland gehören, wobei die jüdische Gemeinschaft hierzulande weit länger verwurzelt ist als die islamische. Von der Zahl her ist die muslimische Community wiederum weitaus größer und diverser als die jüdische; ihre glaubensgemeinschaftliche Struktur ist vielförmiger. Dies führt zur Frage: Wer bzw. welche Gemeinschaft spricht mit wem aus der jeweils anderen Seite? Entsprechend sind gegenwärtige Initiativen zu Dialog und Begegnung vielfältig und spielen sich auf verschiedenen Ebenen ab.
Im vergangenen Jahrzehnt sind in Deutschland zusätzlich zu ersten Begegnungen auf religionsgemeindlicher Ebene zumeist zu theologischen Fragen viele weitere Dialogprojekte und Aktivitäten zwischen Muslim*innen und Jüd*innen entstanden. Über Treffen im glaubensgemeinschaftlichen Kontext wurden insbesondere religiöse Fragen gemeinsam erörtert, aber auch Räume und Gelegenheiten zu gemeinsamen Begegnungen etwa bei Besichtigungen von Gemeinden oder der Präsenz bei Zeremonien der jeweils anderen Gesprächspartner geschaffen. Dies geschah über Einladungen zu Treffen vor Ort oder in offizieller Form als Begegnung von Repräsentanten der jeweiligen Religionsgemeinschaften. Daneben sind vielerorts größere wie auch kleinere jüdisch-muslimische Initiativen und Projekte auf gesellschaftlicher Ebene in Deutschland entstanden.
Zu den größeren Vorhaben für die Begegnung auf gesellschaftlicher Ebene zählt etwa das Projekt Schalom Aleikumdes Zentralrats der Juden in Deutschland, dessen Zielgruppe junge Menschen sind. An verschiedenen Orten wird dabei zu moderierten Gesprächen eingeladen, die anschließend informelle Begegnungen und Austausch ermöglichen.
Außerhalb der jüdischen und islamischen Dachverbände sind weitere Aktivitäten vorhanden, wie die 2019 ins Leben gerufene Initiative Jüdisch-Muslimischer Gesprächskreis der Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin, der die Vernetzung von Gesprächspartner*innen aus unterschiedlichen Bereichen ermöglicht. Im selben Jahr haben zudem das muslimische Avicenna-Studienwerk sowie das jüdische Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) eine Plattform für junge Stipendiat*innen aus den Förderwerken errichtet.
Zu den kleineren Projekten vor Ort gehören zudem einmalige Events wie sportliche oder kulturelle Initiativen. Mit den Jüdisch-Muslimischen Kulturtagen Heidelberg wurde z. B. eine Plattform geschaffen für aktuelle jüdische und muslimische Perspektiven auf gesellschaftliches Miteinander. Sie sind Teil des Heidelberger Bündnisses für Jüdisch-Muslimische Beziehungen und werden vor allem getragen von der Muslimischen Akademie Heidelberg und der dortigen Hochschule für Jüdische Studien. Eine besondere Herausforderung für den jüdisch-muslimischen Dialog bildet der Nahostkonflikt, der zugleich mit antiarabischen oder antimuslimischen Ressentiments einerseits und antisemitischen bzw. antijüdischen Vorurteilen von Seiten der Muslim*innen verbunden ist. Zugleich aber gibt es gemeinsame Themen und Erfahrungen wie die Religionspraxis, die Minderheitensituation oder den Umgang mit Vorurteilen, die im Dialog miteinander Solidarität und Nähe stiften können.
Jüdisch-muslimischer Dialog
Hannan Salamat und Sapir von Abel sind Mitbegründer*innen des jüdisch-muslimischen Kulturfestivals AusARTen in München.
Prof. Dr. Bekim Agai — jüdisch-muslimischer Dialog
Trainerstab des Fußballteams von Makkabi Deutschland, Hakan Tekin und Raphael Kohn.
Makkabi ist ein Dachverband verschiedener jüdisch-deutscher Sportvereine.
Jüdisch-muslimischer Dialog
Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Niedersachsen Michael Fürst und Dr. Yazid Shammout, Vorsitzender der palästinensischen Gemeinde
Hannover, engagieren sich nicht nur für den jüdisch-muslimischen Dialog und Austausch in Hannover und Niedersachsen, sondern treten gemeinsam für einen bundesweiten Dialog und Annäherung zwischen jüdischen und palästinensischen Gemeinden Deutschlands ein.
Imam Ender Cetin und Rabbiner Elias gehen in Berliner Schulen, um dort gegen antimuslimischen Rassismus und vor allem Antisemitismus zu sensibilisieren.
Jüdisch-muslimischer Dialog
Pfarrer Daniel Lerch führt Imam Ahmad Shekeb Popal durch die Kirche St. Peter in München.
Gebetssteine (muhr) in einer schiitischen Moschee, Hamburg
Freitagsgebet in der Wilmersdorfer Moschee, Deutschlands ältester Moschee.
Die rituelle islamische Waschung durchzuführen ist nicht immer überall möglich, doch es ist erlaubt den masah über khuffs durchzuführen. Eine Praktik bei der anstelle des Waschens der Füße sogenannte khuffs (meist eng anliegende Ledersocken) mit feuchten Händen überstrichen werden. Die Marke SmartKhuffZ® hat die traditionellen khuffs mit modernen Sneakern zusammengebracht. Eine Innovation aus Deutschland, die weltweit Muslim*innen ansprechen will.
Sema-Ritual mit drehenden Derwischen im Sufi-Zentrum Rabbaniyya in Berlin.
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Bildnachweis
Alle Fotografien von Julius Matuschik, Inhalte des Schaubildes von Dr. Raida Chbib und grafische Umsetzung des Schaubildes von Bureau Bordaux.
Danksagungen
Ein besonderer Dank gebührt allen Einzelpersonen, Gruppen, Moscheegemeinden oder Institutionen, die ihre Türen für Moinundsalam.de geöffnet haben.
Vielen Dank auch Dr. Ali Özdil, Almasa Özkan, Imam Mounib Doukali, Imam Maged Ibrahim, Pinar Cetin, Dr. Silvia Horsch,
Dr. Souheil Thabti, Imam Talha Taskinsoy und Prof. Dr. Tuba Işık. Außerdem geht ein herzliches Dankeschön an Prof. Dr. Agai, Dr. Asmaa El Maroufi und Prof. Dr. Werner Schiffauer für ihre wertvolle Expertise.
2021 © moinundsalam.de
Für 2020 hat die Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zum muslimischen Leben in Deutschland berechnet, dass inzwischen etwa um die 5,3-5,6 Millionen Muslim*innen in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben, was nahezu 6,5% der Gesamtbevölkerung ausmacht. Zwar spielen religiöse Überzeugungen und Praktiken für eine große Zahl unter ihnen eine alltagsprägende Rolle, aber längst nicht für alle und schon gar nicht in einer einförmigen Weise. Mit der jüngsten Flüchtlingsimmigration ist die muslimische Bevölkerung noch bunter, ihre Institutionen sind noch vielförmiger geworden. Vor allem die jüngere Generation bringt sich, u.a. mit religiösen Ideen, rege in das Gesellschaftsleben ein. Einen kleinen Ausschnitt aus verschiedenen Bereichen und Orten muslimischen Alltags heute präsentiert dieses Kapitel und fragt:
• Welche Religionsstätten haben sich etabliert, und wie wird heute islamische Religion gemeinschaftlich gelebt und gelernt?
• Welche religiösen Persönlichkeiten gibt es in der deutschen muslimischen Community?
• Wie hat sich ein auf religiöse Bedürfnisse spezialisierter Markt etabliert, und wie sieht er aus?
Omar ibn al Khattab-Moschee, Berlin
Muslim*innen leben ihre Religion in ihrem persönlichen Lebensalltag – wie andere auch – individuell mehr oder weniger aus. Auch wenn nur ein Teil von ihnen regelmäßig in eine Moschee geht, so nehmen doch recht viele während ihres Lebens dort religiöse Dienstleistungen wie Eheschließungen, Bestattungen, Feiertagsgebete und andere in Anspruch. Moscheen bilden nicht nur hierfür, sondern auch für rituelle oder spirituelle Gemeinschaftshandlungen sowie für die Vermittlung der Glaubenslehre den zentralen Ort. Damit stellen sie insgesamt die islamisch-religiöse Infrastruktur sicher. Hinzu kommen kulturelle oder soziale Aktivitäten, die häufig auch im Rahmen von Moscheevereinen stattfinden.
Chorprobe des Jugendchors im Islamischen Kulturzentrum der Bosniaken in Berlin.
Wer sich in seiner Stadt nach islamischen Glaubensstätten umschaut, der stößt auf mehr oder weniger als Gebetshäuser erkennbare Orte. Auf dem ersten Blick sehen viele Moscheen unauffällig aus. Kleinere Gebetsorte befinden sich oft in umfunktionierten Lagerhallen, Geschäftsräumen oder gar Wohnungen und sind zumeist nur über die entsprechenden Beschilderungen erkennbar. Es gibt nur verhältnismäßig wenige als Sakralbau erkennbare größere Moscheebauten unter den insgesamt im Jahre 2012 gemäß der Studie zum Islamischen Gemeindeleben in Deutschland auf etwa 2350 geschätzten Moscheen und Cem-Häusern. Aktuell wird deren Gesamtzahl auf nahezu 2800 geschätzt, jedoch ohne gesicherte empirische Grundlage.
Große Moscheebauten fallen ähnlich wie Kirchen vor allem durch ihre Türme (Minarette) ins Auge. In ihrem Baustil lehnen sich die meisten von ihnen an die Moscheearchitektur der Herkunftsländer größerer muslimischer Migrant*innengruppen an. Manchen Moscheen liegt ein von ausländischen Modellen losgelöstes modernes architektonisches Konzept zugrunde, und solche, deren Gemeinden multinational zusammengesetzt sind, vereinen in sich gestalterische Formen aus unterschiedlichen Ländern, darunter auch deutsche Stilelemente.
DITIB-Zentralmoschee, Köln. Das von Gottfried und Paul Böhm entworfene Gebäude ist die wohl größte Moschee Deutschlands.
Blickt man in die Gebetsstätten, so gleichen sie sich grundsätzlich in der Innenausstattung. Nahezu alle sind mit Teppichen ausgelegt, und in ihrem Hauptgebetsraum sind eine die Gebetsrichtung (Qibla) anzeigende Gebetsnische (Mihrab) sowie eine Erhöhung zu finden, zu der oft eine kleine Treppe hinführt. Dies ist die Kanzel (Minbar), von der aus die Predigt gehalten wird. Die meisten Moscheen sind in Männer- und Frauenbereiche unterteilt, und es finden sich nahe der Gebetsbereiche spezielle Waschräume. Der Gebetsruf (Adhan, von arab. aḏān) ist zu den Gebetszeiten innerhalb der verschiedenen islamischen Gebetsstätten mit unterschiedlicher Melodik zu hören.
Auch was ihr Innenleben angeht, weisen Moscheen unterschiedlicher Gruppen und Lehrausrichtungen in Deutschland viele Gemeinsamkeiten auf. Die Gebetsform ist in ihren Grundabläufen gleich, das fünfmalige rituelle Gebet findet dort gemeinschaftlich statt. Zum Freitagsgebet versammeln sich die Gläubigen, ganz überwiegend Männer, da dieses Gebet für sie nach nahezu allen Lehrrichtungen – anders als für Frauen - verpflichtend ist. Es findet zur Mittagszeit statt und enthält eine Predigt. Im Fastenmonat Ramadan kommen in fast allen Moscheen die Gläubigen zu den Nachtgebeten zusammen, und es finden darüber hinaus besondere Angebote statt. Eheschließungen werden in den Moscheen von einem religiösen Leiter (Imam) vorgenommen. Das sind nur einige festgefügte Aktivitäten, die in den allermeisten islamischen Glaubensstätten zu finden sind.
Nach Angaben der Studie zum islamischen Gemeindeleben von 2012 sind die meisten Moscheen und Cem-Häuser vor dem Jahrtausendwechsel gegründet worden, 53 % von ihnen sogar bis Ende der 1980er Jahre, und sind somit schon seit Jahrzehnten Teil des kommunalen Lebens in Deutschland.
Gebetsruf (Adhan) auf dem Dach der Abu Bakr-Moschee Frankfurt. Aufgrund der Corona-Einschränkungen durften einige Moscheegemeinden den Gebetsruf öffentlich ausrufen.
© Dr. Raida Chbib für moinundsalam.de
Das gemeinschaftliche Leben von Muslim*innen in Deutschland findet zwar im Wesentlichen, aber doch nicht ausschließlich in Moscheen statt. Es hat sich in den zurückliegenden Jahren in vielfältige Vereine und Aktivitäten aufgefächert. Um zu veranschaulichen, wie sich Muslim*innen hierzulande über ihre Religionsstätten hinaus vergemeinschaftet haben, lassen sich ihre Aktivitäten grob in die Bereiche primär-religiös und sekundär-religiös unterteilen.
Damit sind diejenigen Gruppen oder Institutionen gemeint, deren Hauptzweck und Schwerpunkt der Aktivitäten auf der Glaubenspflege liegt.
Zusammengenommen sind es die Vereine oder Gruppen von Muslim*innen, in denen rituelle, spirituelle der glaubensvermittelnde Sozialhandlungen (wie Freitags- und Festgebete, Koranunterricht etc.) im Vordergrund stehen und von dafür ausgewiesenen Personen, oft hauptamtliches Religionspersonal, geleitet werden. Die wichtigsten Einrichtungen darunter sind die Moscheegemeinden, in denen das religiöse Angebot breit aufgefächert ist. Daneben gibt es aber auch Institutionen, die nicht den Anspruch haben, die religiöse Infrastruktur so weit wie möglich bereitzustellen, sondern die spezialisiert sind auf bestimmte Angebote zur Glaubenspflege. Dies kann eine spirituelle Lehre sein, die etwa im Rahmen einer Sufi-Gruppe praktiziert wird, oder ein kleiner Bildungsverein, in dem bestimmte religiöse Kurse angeboten werden.
Ashura in der Hasrate Mohammad-Moschee in Hannover. Zu Ashura zelebrieren schiitische Muslime das zeremonielle Brust-Schlagen (Matam) als Trauerzeremonie in Erinnerung an den Tod des dritten Imams der Schiiten, Husain ibn Ali, Enkelsohn des islamischen Propheten Mohammad.
Damit sind solche Gruppen und Vereine von Muslim*innen gemeint, deren Schwerpunkt auf nicht-religiöse Aktivitäten liegt.
Muslim*innen gründen darüber hinaus Vereine und Gruppen zu verschiedenen Zwecken wie Sport, Umweltschutz oder Kunst, in denen islamisch-religiöse Vorstellungen zwar zum Tragen kommen, aber wo die Gläubigen sich nicht vordergründig zum Gebet oder zur Religionslehre treffen. Im sportlichen Bereich haben sich etwa muslimische Schwimm- und Sportvereine gegründet, und ein weiteres Feld bilden auch die Familien- und Jugendarbeit oder – an der Schnittstelle zu Medien und Öffentlichkeit – die Bildungsinitiativen und Dialoggruppen.
Das islamische Religionsfeld ist durch diese Entwicklung vielerlei Aktivitäten von Muslim*innen außerhalb von Moscheen sehr divers geworden. Zahlreiche Vereine, Gruppen oder Netzwerke von Muslim*innen zu verschiedenen Zwecken oder mit Schwerpunkt auf bestimmte Zielgruppen (Frauen, Künstler*innen, Jugendliche, Umweltaktivist*innen etc.) haben sich im Laufe der Zeit ausgebildet, die das allgemeine zivilgesellschaftliche Leben bereichern.
Dhikr-Meditation in der Moschee von ‚Sufiland‘ am Bodensee. Unter Dhikr bzw. Dhikr Allah versteht man eine meditative Übung zur Vergegenwärtigung Gottes.
Ein Großteil der Moscheegemeinden organisiert sich mit den ihnen angeschlossenen Vereinen darüber hinaus in einer Vielzahl islamischer Dachverbände, die zumeist jeweils von einer ethischen Gruppe geprägt sind, sogenannte ethno-religiöse Islamverbände. Bundesweit organisierte islamische Dachverbände sind seit den 1970er Jahren zumeist als organisatorische Klammer für die Ortsgemeinden ähnlicher religionspolitischer und lehrbezogener Ausrichtung und ethnischer Zusammensetzung entstanden.
Das heißt, es existieren mehrere islamische Organisationen vor allem türkisch-, albanisch- oder bosnischstämmiger Muslime nebeneinander, die sich aufgrund einer bestimmten Lehrrichtung und manchmal auch ideologisch zusammenschlossen. Es gibt im Grunde innerhalb der dem Islam zugerechneten Strömungen Sunna, Schia sowie der sufisch geprägten Glaubensformen, keine einheitliche Organisationseinheit, die alle religiösen Gruppierungen dieser Glaubensströmungen zusammenhält und repräsentiert. Innerhalb der Ahmadiyya sind hingegen die allermeisten Gemeinden in der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland (AMJ) organisiert, auch Alevitische Gemeinschaften hierzulande haben sich größtenteils zumeist dem größten bestehenden Dachverband angeschlossen.
Gebetsnische (Mihrab) in der Bosnischen Moschee, Wiesbaden. In jeder Moschee findet sich eine Gebetsnische, die die Gebetsrichtung anzeigt.
Gebetsruf in der Saray Camii in Köln
Imam und Bestatter Salih Güler bei einer Bestattung auf dem Münchner Südfriedhof. Bis Anfang 2021 galt in Bayern die Sargpflicht, eine traditionell-islamische Tuchbestattung war bis dahin nicht möglich.
Zu den frühesten und mitgliederstärksten Dachverbänden im sunnitischen Spektrum zählt die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), die 1984 gegründet wurde und nach eigenen Angaben etwa 960 lokale Moscheevereine zusammenhält. Sie hängt mit der türkischen staatlichen Religionsbehörde zusammen.
Auch die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş̧ (IGMG) ist türkisch-sunnitisch geprägt und wurde 1985 ins Leben gerufen. Mittlerweile ordnen sich ihr nahezu 320 Moscheegemeinden zu. Sie ist lange Zeit mit der gleichnamigen Bewegung (deutsch: ‚Nationale Weltsicht‘) verschränkt gewesen und deswegen vom Verfassungsschutz beobachtet worden; in mehreren Bundesländern wurde ihre Beobachtung mittlerweile eingestellt.
Nachtgebet in der Arresalah-Moschee in Berlin
Ähnlich viele Moscheegemeinden organisieren sich im türkisch-islamischen Verband islamischer Kulturzentren (VIKZ), der seit 1973 besteht und dessen Mitglieder sich stark nach dem Gelehrten Süleyman Hilmi Tunahan richten.
Neben diesen und weiteren türkisch-islamischen Dachverbänden gibt es noch einen bosnisch-islamischen, einen albanisch-islamischen und zwei marokkanisch-islamische Dachverbände, die im sunnitisch-islamischen Spektrum den Großteil der religiösen Infrastruktur bereitstellen.
Imam Benjamin Idriz streamt seine Freitagspredigt in der leeren Moschee: Im ersten Corona-Lockdown waren alle Gebetsstätten bundesweit geschlossen.
Demgegenüber findet sich im schiitisch-islamischen Spektrum neben einzelnen unabhängigen Lokalmoscheen nur ein Dachverband, nämlich die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden (IGS), die im Jahr 2009 gegründet wurde und mittlerweile nahezu 180 schiitisch-islamische Vereine unterschiedlicher ethnischer Gruppierungen in Deutschland verbindet.
Der Sufismus ist ein Bereich im Islam, der sich zumeist über kleine Gruppen organisiert, die einen spirituellen Weg zur Gotteserkenntnis gewählt haben. Einen größeren Dachverband gibt es hier nicht, sondern nur lokale Sufigemeinschaften.
Vor der Corona-Pandemie konnte die Waschung noch gemeinsam durchgeführt werden, wie hier in der Omar ibn Al Khattab-Moschee in Berlin.
Zu den am längsten bestehenden Verbänden von Glaubensgruppen, die nach ihrem Selbstverständnis für ein sogenanntes progressives oder liberales Islamverständnis stehen, gehört der Liberal-Islamische Bund (LIB), der 2010 gegründet wurde. Zurzeit vertritt er Gemeinden in fünf deutschen Städten.
Gebet mit Abstand: Aufgrund der Pandemie konnten viel wenigerMenschen an Gebeten teilnehmen, da die Mindestabstände eingehalten werden müssen.
Innerhalb der Ahmadiyya-Bewegung finden sich kaum dachverbandslose Gemeinden, fast alle gehören einem Dachverband an, der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland (AMJ), die sich der 1889 in Südasien entstandenen Ahmadiyya-Bewegung (Qadiani-Richtung) zurechnet. Seit 2013 ist sie in Hessen sowie in Hamburg als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) anerkannt und umfasst etwa 380 kleinere und größere Gemeinden.
Das Alevitentum wird hauptsächlich durch die Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF) in Deutschland organisiert, die 1989 gegründet wurde. Es ist erstmals 1978 in Form einer Gemeinde mit der Gründung eines Vereins in Berlin in Erscheinung getreten. Aleviten orientieren sich nach den Lehren des Hünkar Bektaş Veli (13. Jahrhundert) und versammeln sich dazu in etwa 150 Versammlungsstätten (Cemevis).
Während der Freitagspredigt in der Afghanischen Moschee in Berlin-Reinickendorf
Die muslimische Bevölkerung in Deutschland ist in vielerlei Hinsicht heterogen, unter anderem in religiösen Belangen. Letzteres ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass inzwischen über lange Zeit viele Muslime mit unterschiedlichen Motiven und aus verschiedenen Weltregionen hierher immigriert sind. Alle haben sie ihre kulturell geprägten Glaubenstraditionen mitgebracht.
Unter muslimischen Glaubensanhängern bildet die türkischstämmige Bevölkerung mit etwa 45 % die größte Anteilsgruppe, gefolgt von 27 % der Muslim*innen, die aus verschiedenen arabisch geprägten Ländern des Nahen Ostens (19 %) oder Nordafrikas (8 %) stammen. Ein Anteil von 19 % stammt aus südosteuropäischen Ländern (Stand 2019). Nicht zu vergessen sind deutsche Muslim*innen ohne Migrationshintergrund oder auch Nachkommen der immigrierten Generation, die ausschließlich in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt hatten. Die Hälfte aller Muslim*innen in Deutschland (ca. 47 %) sind deutsche Staatsangehörige. Mit der unterschiedlichen Herkunft der Familien und der jeweiligen Sozialisation der Muslim*innen gehen verschiedene Ausprägungen der Religiosität einher.
Mit der Immigration von Muslim*innen sind alle größeren Glaubensströmungen und Lehrrichtungen des Islams mittlerweile in Deutschland vertreten.
Mit einem Anteil von etwa 75 % bilden die Anhänger der Sunna die größte Gruppe. Sie erkennen die Legitimität der Nachfolge aller dem Propheten Muhammad nachfolgenden vier Kalifen an. Neben dem Koran bilden ausschließlich die Überlieferungen des Propheten die maßgeblichen Quellen ihrer Glaubenslehre und ‑praxis. Vier Rechtsschulen haben sich im klassischen sunnitischen Islam ausgebildet, sowie im Laufe der Geschichte eine Vielzahl an Lehrrichtungen, Institutionen oder Bewegungen mit eigenen Autoritäten. Etwa 7 % der Muslim*innen sind hierzulande Schiiten. Sie erkennen nur den vierten Kalifen Ali als legitimen Nachfolger des Propheten an. Entsprechend bildet die Imamatslehre einen wesentlichen Bestandteil ihres Glaubens.
Ein sehr kleiner Anteil von unter einem Prozent der Muslim*innen zählt sich den Sufi-Gruppen zu, die spezifische Wege zur Annäherung an Gott etabliert haben. Neben einem geistig-intellektuellen Pfad des Gottgedenkens bilden sie über emotional-expressive Formen wie Gesang und Tanz verschiedene Praktiken aus, die von entsprechenden Meistern angeleitet werden.
Aus der sunnitischen und schiitischen Lehre haben sich im Laufe der Geschichte zudem selbstständige Gemeinschaften mit eigenen Glaubenssystemen und Traditionen entwickelt, die sich selbst mehr (Ahmadiyya), nur zum Teil (Aleviten) oder weniger bis gar nicht mehr (z. B. Drusen) als islamische Richtungen verstehen. Davon sind in Deutschland besonders das Alevitentum mit einem 12,7 % und die Ahmadiyya mit 1,7 % verbreitet (Stand 2008).
Nicht nur die Glaubensrichtung prägt die Weise, wie Muslim*innen hierzulande ihren Glauben ausleben. Sie unterscheiden sich auch im Grad der Religiosität, also darin, wie stark alltagsleitend ihr Glaube für sie jeweils ist. Darüber hinaus kann es Unterschiede darin geben, welchen Glaubensbestandteilen sie jeweils für sich Bedeutung zumessen. Dazu gehören praktisch-rituelle Vorschriften zum Beten oder Fasten und ethisch-moralische wie Ehrlichkeit und Fleiß. Auch gibt es unterschiedliche Herangehensweisen, die Religion in Bezug auf die sie umgebende Gesellschaft sowie auf die Kultur der jeweiligen Herkunftsregion zu verorten. So verstehen und positionieren sich einige als „deutsche Muslim*innen“, während andere sich als eine Art kulturell-religiöse Gemeinschaft bosnischer, pakistanischer oder türkischer Muslim*innen begreifen.
Glaubensströmungen
und Glaubensvielfalt
Dr. Souheil Thabti
Vielfalt als Segen
Glaubensströmungen
und Glaubensvielfalt
Prof. Dr. Werner Schiffauer — muslimische Vielfalt in Deutschland
Glaubensströmungen
und Glaubensvielfalt
Neben den vielen muslimischen Arbeitsmigranten*innen hat es engagierte deutsche Konvertit*innen gegeben, die neben den ethnisch geprägten Gebetsstätten von Immigranten-Gruppen deutsch-muslimische Vereinigungen gegründet haben. Einzelne islamische Zentren sind zudem aus dem Zusammenwirken von Muslim*innen verschiedener Herkunft und sozialer Milieus heraus entstanden, unter denen es zahlreiche Akademiker*innen gegeben hat. Später hat sich das muslimische Leben noch weiter ausdifferenziert durch die vielen in Deutschland geborenen und sozialisierten Nachkommen dieser Immigranten.
Die Vermittlung und Pflege des Wissens um die eigene Religion gehört bei Muslimen in Deutschland, wie auch bei anderen Religionsgruppen, zu den wichtigsten Triebkräften und Pfeilern der Vergemeinschaftung und Ausbildung von Institutionen.
Sie halten die Glaubensgemeinschaften lebendig und beständig. Das religiöse Wissen wird also zuvörderst innerhalb unterschiedlicher Moscheegemeinden und weiteren muslimischen Gruppierungen und Institutionen bereitgestellt und vermittelt. Aber dies geschieht nicht nur dort, sondern seit einigen Jahren auch im Bereich staatlicher Institutionen: So wird vereinzelt in manchen Bundesländern seit einiger Zeit islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen unterrichtet. Ähnlich wie der katholische Religionsunterricht ist er bekenntnisgebunden, in manchen Bundesländern findet er aber auch in Form religiöser Unterweisung statt. Zudem wurde an deutschen Universitäten seit 2010 der Studiengang Islamtheologische Studien etabliert.
Porträt von Sheikh Hassan Dyck aus der Osmanischen Herberge in der Eifel. Hassan Dyck gehört der Tariqa Naqschbandiyya an, ein Sufi-Orden, der im 14. Jahrhundert in Zentralasien entstand.
Imamausbildung in der ‚Jamia‘, der Imamausbildungsstätte der Glaubensgruppe der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Riedstadt. Seit 2008 werden dort Imame ausgebildet.
In den Moscheegemeinden findet die religiöse Wissensvermittlung in unterschiedlicher Form statt: Meist adressieren religiöse Bildungsangebote unterschiedliche Untergruppen der Gemeinden und finden in verschiedenen ‚Abteilungen‘ statt.
Neben übergreifenden Predigten wie der Freitagspredigt, mit der sich der Imam an alle Moscheebesucher richtet, gibt es spezielle Unterrichtseinheiten für Männer, eigene für Frauen, auch welche für Kinder und manche für Senioren. So erhalten Frauen eine auf sie zugeschnittene, meist auch von Lehrerinnen oder Leiterinnen vermittelte religiöse Bildung, während Kinder und Jugendliche in ihren eigenen Gruppen lernen.
Kinder nach dem Unterricht in der Imam Cafer Sadik-Moschee in Berlin Wedding.
Besonders für die religiöse Wissensvermittlung an Jungen und Männer spielt der Imam bzw. Hoca einer Moschee eine wichtige Rolle. Zu den religiösen Bildungsangeboten, die gemäß der Studie zu Strukturen und Angeboten der Gemeinden islamischer Organisationen in Deutschland (2012) in 95 % der befragten Gemeinden den Moscheebesucher*innen bereitgestellt werden, gehören Korankurse und Islamunterricht für Kinder und Jugendliche.
Das Predigen insbesondere im Rahmen der Freitagsgebete als feste rituelle Form der religiösen Wissensvermittlung gehört zu den grundlegenden Aktivitäten nahezu aller sunnitischen und schiitischen Imame. Hinzu kommen sogenannte religiöse Gesprächskreise für Erwachsene oder andere Kurse zur Unterweisung in religiösen Fragen, welche von zwei Dritteln des befragten Religionspersonals mindestens eine Stunde pro Woche regelmäßig in Moscheen durchgeführt werden.
Vorlesung bei Prof. Dr. Ömer Özsoy im Studiengang Islamische Theologie an der Goethe Universität Frankfurt
Frauen bilden indessen innerhalb von Moscheegemeinden eigene Bildungsformen und Strukturen autonom aus. Diese Aktivitäten werden von entsprechenden Lehrerinnen in nach Geschlechtern getrennten Räumen geleitet und nach ihren eigenen Vorstellungen, aber doch in Orientierung an der in der Gemeinde vorherrschenden Lehre gestaltet.
Gemeinsames Koranlesen während des Ramadan in der Şehitlik-Moschee in Berlin
Die religiöse Wissensvermittlung ist innerhalb einer multiethnischen mehrsprachigen Moschee schwieriger zu organisieren und umzusetzen als etwa in einer monoethnischen Gemeinde türkischstämmiger Muslime. Während in weitgehend homogenen Gemeinden spezifische religiöse Lehrrichtungen gepflegt werden, bleiben die plural verfassten Moscheen in ihrer religiösen Ausrichtung weitgehend diffus.
Sie sind vom religiösen Selbstverständnis und der darauf beruhenden Gemeinschaftsvorstellung her inklusiv ausgerichtet, indem sie Muslim*innen unterschiedlicher Ethnien, Sprachen und Glaubensrichtungen gleichermaßen einbinden.
Islamischer Religionsunterricht an einer Gesamtschule in Ronnenberg bei Hannover
Außerhalb von Moscheen versammeln sich Muslim*innen auch manchmal in verschiedenen Formen zur Pflege von Spiritualität (z. B. Sufi-Gruppen) oder religiöser Bildung (z. B. deutschsprachige Korankreise, private Frauengruppen) in islamischen Gruppennetzwerken oder -bewegungen. Nicht immer sind diese als Verein eingetragen. Auch die sogenannten salafitischen Prediger-Bewegungen bleiben oftmals ohne feste räumliche Struktur und stellen ihre Wissensangebote digital bereit.
Anesa Ganic, Nadina Memagic und Ismar Nesiren haben den ‚Rahatnook‘ entwickelt, ein nachhaltig und hochwertig produzierter Gebetsteppich.
Imam Enes Cergel in der Şehitlik-Moschee, Berlin
Teilweise verfestigen sich Initiativen von Muslimen zum Aufbau muslimischer Bildungseinrichtungen jenseits etablierter Moscheen und islamischer Dachverbände zu beständigen Bildungsinstitutionen.
Austausch der beiden Imame der Şehitlik-Moschee in Berlin
Ältere Beispiele hierfür sind etwa das damalige Zentrum für islamische Frauenforschung und Frauenförderung (ZIF), das aus einem runden Tisch bestehend aus muslimischen Studentinnen, Pädagoginnen und Islamwissenschaftlerinnen Mitte der 1990er Jahre zur Situation muslimischer Frauen in Deutschland hervorging. Ausgehend von der gemeinsamen Feststellung eines Bedarfs an einer islamischen Grundlagenforschung aus weiblicher Sicht nahmen sie ihre Arbeit auf. Die Muslimische Akademie Heidelberg ist ein jüngeres Beispiel der Bereitstellung von Bildungsangeboten durch Muslim*innen, das über das rein religiöse Angebot hinausgeht.
Freitagspredigt (Khutba) mit Imam Tahar Sabri in der Neuköllner Begegnungsstätte, Berlin
Unterricht in der Eyüb Sultan-Moschee in Frankfurt
Gemeinsames Gebet nach dem Unterricht in der Albanischen Moschee, Hamburg
Laut einer aktuellen repräsentativen Studie aus dem Jahr 2020 ist die Einhaltung von Getränke- und Speisevorschriften für nahezu 77 % der befragten Sunniten, für 60 % der Schiiten und für fast 83 % der Ahmadiyya-Anhänger*innen wichtig. Dazu gehören Speisevorschriften, die unter anderem den Konsum von Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs betreffen und insbesondere, aber nicht nur, den Verzehr von Verendetem, von Blut oder Schweinefleisch verbieten. Im Bereich der Getränke wirkt sich das Verbot des Genusses von Rauschmitteln besonders markant auf das Konsumverhalten von Muslim*innen aus, die sich an die koranischen Speise- und Getränkemaßgaben halten.
Mit der wachsenden muslimischen Bevölkerung in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ein ‚ethnischer Einzelhandel‘ entwickelt, der ein Sortiment anbietet, das nicht nur den kulturell aus dem Herkunftsland gewohnten Speisevorlieben Rechnung trägt und entsprechende Waren anbietet. Auch dem Bedürfnis der Einhaltung religiöser Speisevorschriften kommt das Sortiment entgegen, indem es Lebensmittel anbietet, die als helal/halal (also ‚erlaubt, zulässig‘) gekennzeichnet werden. Damit wird signalisiert, dass bei der Erzeugung islamische Vorschriften eingehalten wurden.
Die Berücksichtigung der islamischen Speisevorschriften in der Herstellung von Nahrungsmitteln wird mittlerweile durch Zertifikate bestätigt, die von internationalen oder nationalen Zertifizierungsstellen oder von islamischen Gemeinschaften im Land vergeben werden. Als halal zertifizierte Waren findet man mittlerweile auch im etablierten Einzelhandel.
Der zu Beginn auf den Lebensmittelbereich konzentrierte halal-Markt hat sich in den vergangenen Jahren in Deutschland und den Nachbarländern auf viele zusätzliche Bereiche ausgedehnt. Im Wirtschaftsbereich werden hierzulande zunehmend weitere sogenannte halal-Produkte, auch im Textilbereich oder bei Halal-Dienstleistungen (Halal-Reisen) angeboten. Im weiteren Sinne sind damit sämtliche Angebote gemeint, die im Einklang mit islamischen Ge- und Verboten stehen.
Halal-Süßwaren
bei Halalicous in Berlin
Halal-Markt
Halal-konformes Make-Up im Showroom der Marke Beautylope
Mahmoud Tartari, Geschäftsführer von Halal-Control, eines der größten Unternehmen für Halal-Zertifizierung
Halal-Markt
Metzgermeister Mehdi, in der Halal-Schlachterei Piepmeier bei Bremen
Nadia Doukali ist Erfinderin des
Iftarlender, ein Ramadan-Kalender
mit Halal-Schokolade.
Halal-Markt
Kemal Calik ist Chefredakteur der Website Halal-Welt, eine Online-Plattform rund um das Thema halal.
Dr. Asmaa El Maaroufi — Halal
Innerhalb muslimischer Gemeinschaften und Vereine in Deutschland gibt es einzelne Personen, die sich in verschieden Bereichen durch besonderes soziales Engagement, innovative Ideen oder intellektuelle Ansätze hervorheben. Sie haben sich damit in ihrem lokalen Kreis oder auch darüber hinaus verdient gemacht und sind so innerhalb ihrer Gruppen zu geschätzten Personen und manchmal auch zu Vorbildern geworden. Und selbst wo ihr Engagement auf ihren Bereich und ihre Zielgruppen begrenzt ist, tragen sie doch zum gesellschaftlichen Wohlergehen mit bei.
Dr. Silvia Horsch studierte Germanistik und Arabistik. Sie gründete die Islam-Infoplattform al-sakina.de und ist Mitbegründerin der Initiative Nafisa, in der muslimische Wissenschaftlerinnen Fragen rund um die Themen Islam, Frau und Gesellschaft behandeln und auch schwierige innerislamische Themen wie spirituellen Missbrauch ansprechen. Nach einigen Jahren am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück arbeitet sie derzeit als Lehrerin für Islamische Religion am Gymnasium Ursulaschule in Osnabrück. Auf Instagram bloggt sie zum Islamischen Religionsunterricht und übersetzt Gedichte.
Imam Talha Taskinsoy ist studierter Pädagoge und Theologe. Mit seiner Arbeit widmet er sich unter anderem Schwerpunkten wie Tierethik, Veganismus, Gender oder auch dem Islam in und aus Afrika, Themen, die er sowohl online als auch offline behandelt, wie hier im Bild in der African Muslims Association in Frankfurt am Main.
Manche von ihnen werden mit ihren Beiträgen in ihrer jeweiligen Kommune oder Stadtgesellschaft bekannt und wirken so über ihren Verein hinaus gesellschaftlich mit. Diese Menschen werden dann auch außerhalb ihrer Gemeinden als Expert*innen und engagierte Bürger*innen wahrgenommen. So ist beispielsweise in Wuppertal Mohamed Abodahab, Vorstandsmitglied der Islamischen Gemeinde Wuppertal, 2010 mit der Wuppertaler Medaille für seinen langjährigen Einsatz ausgezeichnet worden. Er hatte sich in seiner vielfältigen ehrenamtlichen Arbeit für die aktive Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund am gesellschaftlichen Leben sowie für den interreligiösen Dialog eingesetzt und den Trägerverein muslimischer Friedhöfe Wuppertal mitgegründet.
Prof. Dr. Tuba Işık studierte Rechtswissenschaften und Pädagogik in Göttingen. 2009 hat sie das Aktionsbündnis muslimischer Frauen mitgegründet und war bis 2016 dessen Vorstandsvorsitzende. 2015 bis 2019 hat sie mit der Arbeit „Die Kultivierung des Selbst“ am Seminar für Islamische Theologie in Paderborn habilitiert. Zum Wintersemster 2020/21 wurde sie als Professorin für Islamische Religionspädagogik und Praktische Theologie an die Humboldt Universität Berlin berufen.
Bashir Ahmad Dultz, der sich als Vorsitzender der Deutschen Muslim-Liga jahrzehntelang für ein friedliches Miteinander der Religionen eingesetzt hat, ist 2008 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Die Gründerin des ersten anerkannten muslimischen Bildungswerks für Frauen in Deutschland – das Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen in Köln – Dr. Erika Theißen erhielt ebenfalls 2011 für ihr unermüdliches Engagement für gesellschaftlichen Frieden und die Teilhabe von Minderheitengruppen das Bundesverdienstkreuz.
Imam Mounib Doukali in der El Iman-Moschee in Hamburg Harburg. Doukali hat eine Imamausbildung in Tunesien abgeschlossen, er ist Absolvent der Islamischen Theologie an der Universität Osnabrück und zählt zu einer jungen Generation von Imamen, die ihr Theologie-Studium in Deutschland absolviert haben. Neben der El Iman-Moschee ist er Beauftragter für den interreligiösen Dialog und koordiniert die Seelsorge für die Schura Hamburg.
Exemplarisch stehen sie und viele andere muslimische Bürger*innen, denen eine Ehrung zuteilwurde, für die oftmals wenig sichtbare, aber wichtige ehrenamtliche Arbeit von Muslim*innen im Land, die Menschen in Not unterstützen und einen Beitrag für gesellschaftliches Wohl und den Frieden leisten.
Die Politikwissenschaftlerin Pinar Cetin ist Mitbegründerin und Vorstandsvorsitzende der Deutschen Islam Akademie in Berlin. Die Akademie möchte neue Wege im Dialog von Muslim*innen mit Angehörigen anderer Religionen und Weltanschauungen gehen.
Almasa Özkan studiert Islamische Studien im Master und arbeitet als Betreuerin von muslimischen Inhaftierten im Frauen-Vollzug. In der Bosnischen Moschee in Wiesbaden gestaltet sie den Islamischen Religionsunterricht gemeinsam mit Imam Fahrudin Dzinic.
Maged Ibrahim ist Islamwissenschaftler und Student der Islamischen Theologie. In Berlin leitet er den Jugendbereich des Arresalah-Zentrums, den er 2020 gegründet hat. Neben seiner Tätigkeit als deutschsprachiger Imam in der Gemeinde thematisiert er theologische Themen auf Social Media (www.instagram.com/al.berlini). Für Moinundsalam.de visualisiert er das rituelle islamische Gebet.
Der islamische Theologe Dr. Ali Özdil gründete das Islamische Wissenschafts- und Bildungsinstitut e.V., eine theologisch-pädagogische Bildungseinrichtung, die Beratung, Fort- und Weiterbildungen für alle Gruppen mit Kontakt zu Muslim*innen anbietet. Sein Schwerpunkt liegt auf Kultur- und Religionssensibilität. Er schult vor allem medizinisches Personal in diesem Bereich.
Anfänge des jüdisch-muslimischen Dialogs in Deutschland lassen sich nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst auf Initiativen der Kirchen zurückführen. Damit spielte die Kirche eine zentrale Rolle in der Ermöglichung des interreligiösen Austauschs, auch zwischen Muslim*innen und Jüd*innen, die sich zunächst im Rahmen der Trialogezwischen den Abrahamitischen Religionen trafen. Später sind solche Trialoge auch außerhalb der Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften durchgeführt worden, wie das 2014 von Studierenden der drei Religionen initiierte Café Abraham. Mittlerweile initiieren Jüd*innen und Muslim*innen selbst ihren gemeinsamen Austausch und gestalten ihn miteinander aus.
Gemeinsam ist den beiden Religionsgemeinschaften, dass sie zu den religiösen Minderheiten in Deutschland gehören, wobei die jüdische Gemeinschaft hierzulande weit länger verwurzelt ist als die islamische. Von der Zahl her ist die muslimische Community wiederum weitaus größer und diverser als die jüdische; ihre glaubensgemeinschaftliche Struktur ist vielförmiger. Dies führt zur Frage: Wer bzw. welche Gemeinschaft spricht mit wem aus der jeweils anderen Seite? Entsprechend sind gegenwärtige Initiativen zu Dialog und Begegnung vielfältig und spielen sich auf verschiedenen Ebenen ab.
Im vergangenen Jahrzehnt sind in Deutschland zusätzlich zu ersten Begegnungen auf religionsgemeindlicher Ebene zumeist zu theologischen Fragen viele weitere Dialogprojekte und Aktivitäten zwischen Muslim*innen und Jüd*innen entstanden. Über Treffen im glaubensgemeinschaftlichen Kontext wurden insbesondere religiöse Fragen gemeinsam erörtert, aber auch Räume und Gelegenheiten zu gemeinsamen Begegnungen etwa bei Besichtigungen von Gemeinden oder der Präsenz bei Zeremonien der jeweils anderen Gesprächspartner geschaffen. Dies geschah über Einladungen zu Treffen vor Ort oder in offizieller Form als Begegnung von Repräsentanten der jeweiligen Religionsgemeinschaften. Daneben sind vielerorts größere wie auch kleinere jüdisch-muslimische Initiativen und Projekte auf gesellschaftlicher Ebene in Deutschland entstanden.
Zu den größeren Vorhaben für die Begegnung auf gesellschaftlicher Ebene zählt etwa das Projekt Schalom Aleikumdes Zentralrats der Juden in Deutschland, dessen Zielgruppe junge Menschen sind. An verschiedenen Orten wird dabei zu moderierten Gesprächen eingeladen, die anschließend informelle Begegnungen und Austausch ermöglichen.
Außerhalb der jüdischen und islamischen Dachverbände sind weitere Aktivitäten vorhanden, wie die 2019 ins Leben gerufene Initiative Jüdisch-Muslimischer Gesprächskreis der Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin, der die Vernetzung von Gesprächspartner*innen aus unterschiedlichen Bereichen ermöglicht. Im selben Jahr haben zudem das muslimische Avicenna-Studienwerk sowie das jüdische Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) eine Plattform für junge Stipendiat*innen aus den Förderwerken errichtet.
Zu den kleineren Projekten vor Ort gehören zudem einmalige Events wie sportliche oder kulturelle Initiativen. Mit den Jüdisch-Muslimischen Kulturtagen Heidelberg wurde z. B. eine Plattform geschaffen für aktuelle jüdische und muslimische Perspektiven auf gesellschaftliches Miteinander. Sie sind Teil des Heidelberger Bündnisses für Jüdisch-Muslimische Beziehungen und werden vor allem getragen von der Muslimischen Akademie Heidelberg und der dortigen Hochschule für Jüdische Studien. Eine besondere Herausforderung für den jüdisch-muslimischen Dialog bildet der Nahostkonflikt, der zugleich mit antiarabischen oder antimuslimischen Ressentiments einerseits und antisemitischen bzw. antijüdischen Vorurteilen von Seiten der Muslim*innen verbunden ist. Zugleich aber gibt es gemeinsame Themen und Erfahrungen wie die Religionspraxis, die Minderheitensituation oder den Umgang mit Vorurteilen, die im Dialog miteinander Solidarität und Nähe stiften können.
Jüdisch-muslimischer Dialog
Hannan Salamat und Sapir von Abel sind Mitbegründer*innen des jüdisch-muslimischen Kulturfestivals AusARTen in München.
Prof. Dr. Bekim Agai — jüdisch-muslimischer Dialog
Trainerstab des Fußballteams von Makkabi
Deutschland, Hakan Tekin und Raphael
Kohn. Makkabi ist ein Dachverband
verschiedener jüdisch-deutscher
Sportvereine.
Jüdisch-muslimischer Dialog
Vorsitzender der jüdischen Gemeinde
Niedersachsen Michael Fürst und
Dr. Yazid Shammout, Vorsitzender der
palästinensischen Gemeinde
Hannover.
Imam Ender Cetin und Rabbiner Elias gehen
in Berliner Schulen, um dort gegen
antimuslimischen Rassismus und vor allem
Antisemitismus zu sensibilisieren.
Jüdisch-muslimischer Dialog
Pfarrer Daniel Lerch führt Imam Ahmad Shekeb Popal durch die Kirche St. Peter in München.
Gebetssteine (muhr) in einer schiitischen Moschee, Hamburg
Freitagsgebet in der Wilmersdorfer Moschee, Deutschlands ältester Moschee.
Die rituelle islamische Waschung durchzuführen ist nicht immer überall möglich, doch es ist erlaubt den masah über khuffs durchzuführen. Eine Praktik bei der anstelle des Waschens der Füße sogenannte khuffs (meist eng anliegende Ledersocken) mit feuchten Händen überstrichen werden. Die Marke SmartKhuffZ® hat die traditionellen khuffs mit modernen Sneakern zusammengebracht. Eine Innovation aus Deutschland, die weltweit Muslim*innen ansprechen will.
Sema-Ritual mit drehenden Derwischen im Sufi-Zentrum Rabbaniyya in Berlin.
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Bildnachweis
Alle Fotografien von Julius Matuschik, Inhalte des Schaubildes von Dr. Raida Chbib und grafische Umsetzung des Schaubildes von Bureau Bordaux.
Danksagungen
Ein besonderer Dank gebührt den Vertreter*innen der Moscheegemeinden, allen voran Aiman El Attar (Bilal-Moschee Aachen), Mohammad Ale Hosseini (Islamisches Zentrum Hamburg), Mohammad Luqman und Ilyas Munir (Ahmadiyya Muslim Jamaat), die ihre Archive für das Projekt geöffnet haben, sowie den Mitarbeiter*innen der verschiedenen Sammlungen, die die hier gezeigten Fotografien aufbewahren und zugänglich machen. Ein herzlicher Dank sei auch an Thomas Ugé gerichtet, der die Geschichte von Abdullah Weisser erstmals aufbereitet hat und dem die Bildschätze aus dem Leben Weissers zu verdanken sind. Darüber hinaus danke ich Karin Scherrer und Joachim Weisser, die geholfen haben, die Geschichte ihres Vaters Abdullah Weisser zu rekonstruieren. Ein herzliches Dankeschön geht ebenfalls an Wolfgang Schröck-Schmidt für den Zugang zur Schwetzinger Moschee.
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